Durchbruch für den Kanzler

BERLIN. (ve) Der Kanzler war bereits am Montag voller Optimismus: Er sei sich ziemlich sicher, dass die Koalition bei den Arbeitsmarkt-Gesetzen "geschlossen" in Richtung eigene Mehrheit marschiere. Der Niedersachse sollte sich nicht täuschen. Zur gestrigen Fraktionssitzung der SPD, in der die Abgeordneten ihre Probe-Abstimmung vom Vortag nachholten, tauchte Gerhard Schröder gar nicht mehr auf.

Letzte Überzeugungsarbeit? "Das macht der Franz", hieß es in Kreisen der Genossen. Dafür gelobte "der Franz" sogar Besserung: "Erstens lernt man immer dazu, und zweitens konzentrieren wir uns jetzt auf die Abstimmung", meinte Fraktionschef Müntefering auf die Frage, warum er nach anfänglichen Ausbrüchen gegen die Abweichler so handzahm geworden sei. Rebellen fühlen sich als Sieger

Den Rebellen schmeichelt so etwas ungemein. Nach den zahlreichen Drohungen und Beschimpfungen der letzten Wochen fühlen sie sich ohnehin als Sieger des Geschehens. "Seit 23 Jahre bin ich im Bundestag, da bekommt man so etwas wie eine Elefantenhaut", erklärte Sigrid Skarpelis-Sperk vor Mikrofonen. Der jüngste Reformstreit habe sie jedoch gelehrt, dass man in der Politik die "Haut eines Panzer-Nashorns" brauche. Zweifellos waren Skarpelis-Sperk und die anderen fünf SPD-Kritiker, die schon zur Gesundheitsreform "Nein" gesagt hatten, von großer Hartnäckigkeit beseelt. Doch nachdem sie zu Wochenbeginn mit kleinen Nachbesserungen im Gesetzestext geködert wurden, kannte ihr Lob kaum Grenzen. "80 Prozent meiner Wünsche sind verwirklicht, ein deutlicher Schritt vorwärts", befand Skarpelis-Sperk. "Die Fraktion kam auf uns zu." Da könne man sich nicht mehr verweigern, ergänzte ihr Parlaments-Kollege Fritz Schösser. Und der Abgeordnete Rüdiger Veit sah in den Korrekturen zumindest einen "tragfähigen Kompromiss", dem er zustimmen könne - "wenn auch ohne Begeisterung". In der Sitzung kamen 14 Änderungsanträge auf den Tisch, die ohne Aussprache einstimmig angenommen wurden. Auch der Wortführer des Widerstandes, Ottmar Schreiner, gab sich wortlos zufrieden. Der Saarländer galt als letzter Wackelkandidat. Der Kanzler kann also durchatmen. Für den politischen Durchbruch bedurfte es keiner weiteren Rücktrittsdrohung. Auch die Grünen verzeichnen bei den Hartz-Gesetzen eine breite Zustimmung. Lediglich der Berliner Abgeordnete Werner Schulz versagte der Koalitiongestern einmal mehr die Gefolgschaft. Dabei könnte sich das Regierungslager theoretisch bis zu vier Gegenstimmen oder acht Enthaltungen aus den eigenen Reihen leisten, ohne die Annahme der Gesetze am Freitag im Bundestag zu gefährden. So richtet sich der Blick bereits auf die nächste parlamentarische Hürde. Die Union hat schon angekündigt, den mühsam erzielten Kompromiss in der Länderkammer zu kippen. Fest steht, dass die rot-grünen Vorstellungen nicht lupenrein aus dem Vermittlungsausschuss heraus kommen werden. Und dann könnte die Zitterpartie für eine eigene Regierungsmehrheit im Bundestag erneut auf der Tagesordnung stehen.

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