Durchhalte-Parolen statt Erfolgs-Strategie

Cleveland/Washington. "Bleibt stark, haltet durch" – so lautete die Botschaft von US-Präsident Bush an die amerikanische Bevölkerung, nachdem neue schlechte Nachrichten aus dem Irak eingetroffen waren: Bis Donnerstagabend ließen 27 US-Soldaten in einer einzigen Woche ihr Leben.

In Brook Park, einem Vorort der Millionenstadt Cleveland (US-Bundesstaat Ohio), häufen sich am Kasernenzaun des 3. Bataillons der US-Marines Blumen, handgeschriebene Karten und Teddybären. Immer wieder kommen Bürger zu der Absperrung, legen Blumen und Kränze an improvisierten Holzkreuzen nieder. Viele haben Tränen in den Augen und trauern. In der blutigsten Woche für die amerikanischen Militärs seit Beginn des Irak-Kriegs starben 14 Mitglieder dieser Einheit aus Ohio am Mittwoch, als eine Straßenbombe ihr nur leicht gepanzertes Amphibienfahrzeug auf den Kopf warf und in Brand setzte. Zwei Tage vorher waren bereits sechs Scharfschützen des Bataillons bei der Suche nach Aufständischen in einen Hinterhalt geraten und niedergeschossen worden. Und so mancher Angehörige macht aus der Verbitterung und dem Zorn gegenüber der Regierung in Washington mittlerweile keinen Hehl mehr. "Irgenwann muss man doch seine Verluste begrenzen", sagt Carl Schroeder, dessen Sohn zu den im Amphibienfahrzeug verbrannten Soldaten zählt, "dieser Krieg macht keinen Sinn mehr". Eine Auffassung, die in den USA immer mehr Bürger zu teilen scheinen. Seit Mai sind über 50 getötete GIs zu beklagen, ihre Gesamtzahl stieg mittlerweile auf über 1830. Eine Umfrage des Gallup-Institutes gemeinsam mit dem Fernsehsender CNN ergab gestern, dass mittlerweile 59 Prozent der Befragten die Strategie von Präsident George W. Bush schlecht finden - und ihm vorwerfen, keine Erfolgs-Strategie zu haben. Denn Bush und seine Kabinettsmitglieder antworten auf die fast täglich eintreffenden Hiobs-Botschaften mit den wohl bekannten Durchhalte-Parolen. Man werde Kurs halten, man werde den Job im Irak erledigen und damit auch die Toten ehren, so Bush am Donnerstagabend in einer kurzen Fernseh-Ansprache von seiner Ranch in Crawford (Texas), wo er er einen vierwöchigen Sommerurlaub verbringt. Der Präsident reagierte mit diesen Worten nicht nur auf die Verluste im Irak, sondern auch die jüngste Videobotschaft von El Kaida-Vize Sawahari, der neben neuen Terroraktionen gegen Großbritannien und die USA auch weitere Widerstandsaktionen in dem Zweistromland in Aussicht gestellt hatte: Man werde so hart zuschlagen, dass darüber die Gräuel von Vietnam in Vergessenheit geraten würden.Das Grauen wird zur Realität

Das Grauen ist dabei für John Dyer schon zur Realität geworden. Er hatte im Radio gehört, dass Mitglieder jener Marine-Einheit getötet worden waren, der auch sein 19-jähriger Sohn Christiopher angehört. "Stundenlang habe ich gebetet, dass er es nicht ist", berichtete der Vater Reportern. Vergeblich: Am Donnerstagmorgen klingelte es bei ihm an der Haustür. Zwei Marinesoldaten in Parade-Uniform waren vorgefahren. "Ist er tot?" fragte John Dyer. Die beiden nickten. Auch für die Angehörigen von Corporal David Kreuter wurde "der schlimmste Alptraum Realität", wie die Mutter des 26-Jährigen sagt. Auch er saß in dem von der Bombe getroffenen Truppentransporter, auch er wird in einem Sarg in die Heimat zurückkehren, der von den Angehörigen nicht mehr geöffnet werden darf - zu schwer sind die Gefallenen verstümmelt. David Kreuters Frau Christina hatte vor zwei Monaten das erste Kind des Paares geboren, einen Sohn. "Er wird nun nie mehr seinen Vater sehen", klagt die Mutter und ergänzt: "Es wird Zeit, dass dieser Krieg endet." Doch geht es nach der US-Regierung, so ist dafür noch lange kein Termin in Sicht. Zwar gibt es interne Pläne des Pentagon, die Zahl der Truppen im Irak von derzeit rund 140 000 auf 60 000 Mann bis Ende 2006 zu senken - doch nur, wenn gleichzeitig die irakischen Sicherheitskräfte in der Lage seien, die Aufständischen und Extremisten zu kontrollieren. Nach einer Studie des US-Verteidigungsministerium seien derzeit jedoch nur ein Drittel der frisch ausgebildeten irakischen Polizisten und Militärangehörigen in der Lage, professionell vorzugehen - zu einem Zeitpunkt, wo offenbar vor allem durch die Grenze zu Syrien immer wieder neue Terroristen und neues Bombenmaterial in den Irak gelangen. Auch die starke Bombe, die 14 Marines bei der Stadt Haditha zum Verhängnis wurde, dürfte nach Pentagon-Erkenntnissen aus eingeschmuggeltem Material bestanden haben. Der neue US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, fand deshalb auch scharfe Worte für die syrische Grenzsischerung bei seinem ersten Auftritt vor der Weltorganisation. Und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bestätigte angesichts der herben Verluste der vergangenen Tage am Donnerstag mit seltener Offenheit, in einer strategischen Zwickmühle zu stecken: Wenn die US-Truppenverbände nicht stark genug seien, könne der Prozess einer politischen Normalisierung im Irak durcheinandergebracht werden, so der Minister. Verstärke man jedoch die militärische Präsenz, könnte der Eindruck im Land zunehmen, mit Besatzungstruppen zu tun zu haben - was Extremisten dann zu neuen Attacken animieren könnte.

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