EU-Gipfel: Die Geburtsstunde von "Mercron"

Brüssel · Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident demonstrieren beim EU-Gipfel die Wiederbelebung der Achse Berlin-Paris.

 Solche Herzlichkeit hat die britische Premierministerin Theresa May (rechts) auf dem EU-Parkett nicht mehr zu erwarten: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron gehen beim Brüsseler Gipfeltreffen demonstrativ fröhlich aufeinander zu. Foto: dpa

Solche Herzlichkeit hat die britische Premierministerin Theresa May (rechts) auf dem EU-Parkett nicht mehr zu erwarten: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron gehen beim Brüsseler Gipfeltreffen demonstrativ fröhlich aufeinander zu. Foto: dpa

Foto: Geert Vanden Wijngaert (AP)

Wenn es gutgeht, folgen EU-Gipfel einem Drehbuch. Bei diesem Treffen ging es aus Sicht von Paris und Berlin gut. Ziel war, in Brüssel den neuen Schwung in der Europapolitik zu demonstrieren, für den Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron künftig sorgen wollen. Entsprechend wurden schon am ersten Gipfeltag die Botschaften gesetzt: Da versicherte Macron, er werde in der Europapolitik "Hand in Hand" mit Merkel gehen, und Merkel lobte seine Kreativität. Macron und Merkel machten gemeinsam Ungarn und Polen Druck, die bei der Verteilung von Flüchtlingen blockieren. Und in diese Choreographie der deutsch-französischen Harmonie passte dann, dass Merkel und Macron zusammen zum Abschluss vor die Kameras gingen.

Brüssel, nie um eine Wortschöpfung verlegen, spricht bereits von der Geburtsstunde von "Mercron".

Die Kanzlerin nannte es den "Geist neuer Zuversicht", der bei dem Gipfel zu spüren gewesen sei. Die Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin habe sich als belastbar herausgestellt. Macron sprach vom "Willen, zusammenzuarbeiten" und beschwor die Vergangenheit, als Helmut Kohl und François Mitterrand in der Europa-Politik an einem Strang gezogen haben. Merkel versicherte, es werde keinen Alleingang von Deutschland und Frankreich geben. "Wir machen das nicht allein. Wir sind offen für die Mitarbeit von anderen Mitgliedstaaten." Die EU der 27 von heute sei nicht mehr mit den Zeiten vergleichbar, als es nur ein Dutzend Mitglieder gab.

Bisher gibt es nicht viel mehr als die Aufbruchstimmung, konkrete Beschlüsse stehen aus. Doch das könnte sich bald ändern: Der weitere Fahrplan, der zwischen Paris und Berlin abgesprochen ist, sieht als nächste Etappe den deutsch-französischen Ministerrat am 13. Juli vor.

Auch dieser Gipfel stand unter dem Vorzeichen der angelaufenen Brexit-Verhandlungen. 3,5 Millionen EU-Bürger leben in Großbritannien. Sie machen sich Sorgen, was der Brexit für sie bedeutet. Sie sind beunruhigt, weil die Einwanderungsfrage in der Brexit-Kampagne eine große Rolle spielte. Immerhin sicherte die britische Premierministerin May ihren Kollegen beim Abendessen zu: Kein EU-Bürger muss nach dem Brexit die Insel verlassen. Auch Familien würden nicht auseinandergerissen. Sie schlug vor, dass EU-Bürger beim Aufenthaltsstatus sowie den Ansprüchen an die Sozialversicherung die gleichen Rechte haben sollen wie Briten - sobald sie fünf Jahre im Königreich leben. Ab welchem Datum die fünf Jahre gelten, ist allerdings noch offen. Dieser Stichtag dürfte zwischen dem Tag der offiziellen Austrittsankündigung, also dem 29. März 2017, und dem tatsächlichen Austrittsdatum liegen, also dem 29. März 2019. Brüssel fordert dagegen eine Garantie der Rechte auch für alle EU-Bürger, die noch in der laufenden EU-Mitgliedschaft nach Großbritannien übersiedeln.

Fraglich ist auch, ob sich EU-Bürger im Streitfall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wenden können. Für Brüssel ist das selbstverständlich, London sieht es gänzlich anders. Die Begeisterung über das Angebot Mays hielt sich denn auch in Grenzen. Angela Merkel sagte lediglich, das sei "ein guter Anfang, aber noch nicht der Durchbruch" gewesen.
Der Gipfel einigte sich auch auf das Verfahren für die Vergabe der EU-Agenturen, die derzeit in London angesiedelt sind und spätestens im März 2019 auf den Kontinent umziehen müssen. Es geht um die Arzneimittelbehörde (EMA) sowie um die Bankenaufsicht (EBA). Fast alle Mitgliedstaaten reißen sich um die Agenturen. Frankfurt als wichtigster Finanzplatz in der Euro-Zone sieht sich als heißester Kandidat für die Bankenaufsicht, Bonn hatte sich Hoffnungen auf die Arzneimittelbehörde gemacht. Diese Hoffnungen muss Bonn nun begraben. Beschlossen ist nämlich, dass beide Agenturen auf keinen Fall an den gleichen Mitgliedstaat gehen und dass zuerst über die Arzneimittelagentur abgestimmt wird. Da der Bundesregierung die Bankenaufsicht wichtiger sein dürfte, dürfte Berlin gar nicht erst den Hut für die Arzneimittelagentur in den Ring werfen.

Bis Ende Juli müssen die Hauptstädte nun ihre Bewerbungen bei der Kommission einreichen. Entschieden wird dann per Abstimmung beim EU-Gipfel im Oktober.KommentarMeinung

Von wegen großzügigHört, hört! 3,5 Millionen EU-Bürger, die auf der Insel leben, wissen jetzt, woran sie sind: Sie müssen nicht mit ihrer Ausweisung rechnen, wenn Großbritannien im März 2019 den Club verlässt. Auch Familien sollen nicht auseinandergerissen werden. Was denn sonst? Alles andere wäre eine Unverschämtheit gewesen, die sich für ein vernünftiges Miteinander unter Nachbarn verbietet. Es lässt tief blicken, dass Theresa May Selbstverständlichkeiten wie diese als großzügiges Angebot bezeichnet. Wie May vorgeht, lässt Böses ahnen für den weiteren Verlauf der Verhandlungen. Wenn es erst einmal um die wirklich schmerzhaften Fragen geht, etwa um die Höhe der Austrittsrechnung, dürfte sich London als hartleibiger Verhandlungspartner herausstellen. Es wäre eine große Schmach, wenn May eine Ablösesumme im hohen zweistelligen Milliardenbereich akzeptieren würde. Sie ist daheim ohnehin angezählt, ihre Gegner würden vermutlich jede entsprechende Vereinbarung gegen sie ausschlachten. Die Chancen, dass die Brexit-Verhandlungen schon sehr bald am Punkt des Geldes scheitern und London ohne einen Deal den Verhandlungstisch verlässt, sind gestiegen. nachrichten.red@volksfreund.de

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