EU-Marathon für Mountainbiker

KELL AM SEE. Die folgende Geschichte klingt wie eine Satire von Ephraim Kishon. Aber auch wenn es keiner glaubt: Sie hat sich wirklich so zugetragen.

Im Sommer 1998 kam dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kell, Werner Angsten, die Idee, man könne die idyllischen Mountainbike-Strecken besser touristisch nutzen, wenn es eine ordentliche Beschilderung und eine ansehnliche Rad-Wanderkarte gebe. Als Vorsitzender des für Tourismus-Förderung zuständigen "Hochwald-Ferienland e.V." ließ Angsten die Idee prüfen, Kosten ermitteln - im Frühjahr 1999 beschloss man die Maßnahme mit einem Gesamtvolumen von 48 000 Euro. Und weil die EU mit ihrem "Leader"-Programm solche Projekte bezuschusst, ging am 21. September 1999 ein Antrag an das Mainzer Wirtschaftsministerium. Am 7. Dezember des gleichen Jahres traf gute Kunde ein: Mit 22 000 Euro werde das EU-Programm dabei sein. Mehrere Seiten Neben-, Zusatz- und Ergänzungsbestimmungen waren angefügt. Durch solchen Rückenwind motiviert, machte man sich in Kell frisch ans Werk. Es wurde geplant und gebaut, gepinselt und gedruckt. Im Sommer 2001 wurden Schilder, Wanderkarten und Broschüren fertig. Freilich nahten auch die Rechnungen der Lieferanten. Was hingegen nicht nahte, war der via Mainz abzuwickelnde Zuschuss aus Brüssel. Denn der wird erst nach akribischer Endabrechnung bezahlt. So lange aber pflegen Handwerker und Druckereien nicht zu warten. Der Hochwald-Ferienland e.V. musste also am 1.10. 2001 zwecks Schließung der EU-Deckungslücke einen Kredit aufnehmen, in der Erwartung baldigen Rückflusses. Sechs Wochen später reichte man den Verwendungsnachweis bei der diesmal zuständigen Investitions- und Strukturbank RLP ein. Die Maßnahme war billiger geworden, weshalb die Strukturbänker mit Bescheid vom 5. Februar 2002 den Zuschuss auf 14 000 Euro kappten und die Einhaltung von allerlei Nebenbestimmungen anmahnten. Es wurde mehrmals hin- und her korrespondiert, so floss ein weiteres Jahr ins Land, aber kein Geld in die Keller Kassen. Unterdessen hatte der Bürgermeister den Landrat eingeschaltet und der bat erfolglos drei Mal schriftlich im Mainzer Ministerium um Erledigung. Werner Angsten zog von Stelle zu Stelle, aber scheinbar hing das Geld in Brüssel fest. Wohl dem, der einen Europa-Abgeordneten zum Freund hat. Angsten schrieb an den "lieben Werner" Langen und jagte ihn im Oktober 2003 auf diverse Brüsseler Behörden los. Die "Generaldirektion Regionalpolitik" bei der EU-Kommission teilte ihm mit, dass man in Mainz (!) die Auskunft erhalten habe, es gebe "ein Problem mit den Schlusszahlungsanträgen". Nun sei aber bald mit einer Zahlung zu rechnen. Der Jubel in Kell war grenzenlos, nur Geld kam keins. Im April 2004 ging der nächste Brief an den "lieben Werner" raus und der, reichlich fassungslos, machte noch einmal Druck. Im Mai meldete sich das Wirtschaftsministerium, nicht in Kell, sondern bei Langen, und teilte mit, das "Bundesamt für Ausfuhrkontrolle" habe Probleme bei der Bundeskasse festgestellt, die das Geld aus der EU-Kasse an die Landeskasse zwecks Weiterleitung an die Keller Kasse überweisen müsse. Nachtrag: Am 9. Juni 2004, nach 30 Schreiben, 50 Telefonaten, die geschätzte 80 Bedienstete in 20 verschiedenen Institutionen beschäftigt haben, gingen 14 265, 04 Euro in Kell ein. Die Kreditzinsen von 2500 Euro übernimmt keiner.

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