EU-Staaten verteilen 120.000 Flüchtlinge: Ungarn, Tschechen und Slowaken werden nicht von Quote überzeugt, sondern überstimmt

Brüssel · Gegen den Widerstand mehrerer osteuropäischer Staaten haben die EU-Innenminister im zweiten Anlauf eine Umsiedlung von Flüchtlingen innerhalb Europas beschlossen. Bei ihrer Krisensitzung am Dienstag in Brüssel beschlossen sie, dass 120.000 Asylbewerber vorrangig aus Griechenland und Italien gleichmäßig auf die Mitgliedstaaten zu verteilen.

"Mit dieser Entscheidung", sagte der Luxemburger Minister Jean Asselborn als derzeitiger Ratsvorsitzender, "kann die EU die Lage wieder in den Griff bekommen."

Das Votum fiel nicht einstimmig. Tschechien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei stimmten - obwohl nicht mehr von einer Quote die Rede ist und damit auch kein dauerhafter Verteilungsschlüssel eingeführt wird - gegen den Kompromissvorschlag. Finnland enthielt sich. "Ich hätte einen Konsens vorgezogen, doch das haben wir nicht geschafft", sagte Asselborn: "Manche werden jetzt sagen, die EU sei gespalten, aber wir befinden uns in einer Notlage, in der die Fähigkeit der Gemeinschaft zu handeln in Frage stand."

Die notwendige Mehrheit kam nur deshalb zustande, weil Polen aus dem Lager der Nein-Sager ausschied und den Block der sogenannten Visegrad-Staaten auseinandertrieb. "Wir haben dafür gearbeitet, dass Polen dabei ist", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach der Sitzung, die "ein wichtiger Baustein" zur Lösung der Flüchtlingskrise sei: "Heute ist ein wichtiger Schritt gegangen worden - weitere müssen und werden folgen."

Alle Staaten müssen Italien und Griechenland nun im Laufe von zwei Jahren 66.000 Flüchtlinge abnehmen. Das restliche Kontingent von 54.000 Flüchtlingen, die dem Vorschlag der EU-Kommission zufolge Ungarn abgenommen werden sollten, stehen nun theoretisch auch anderen Ländern zur Verfügung, weil die Regierung in Budapest sich überhaupt nicht an einer Verteilungslösung beteiligen wollte und die meisten der Asylbewerber im Land schon an die Grenze zu Österreich gebracht hat. De Maizière wies darauf hin, dass dadurch nicht nur weniger Menschen über die Balkanroute in die Bundesrepublik kommen würden, sondern Deutschland nach einem entsprechenden Kommissionsvorschlag auch direkt Flüchtlinge abgeben könnte: "Das wäre dann eine zusätzliche Entlastung."

6000 Euro aus dem EU-Haushalt bekommt jedes Land pro Flüchtling, der aus einem anderen Land dorthin gebracht wird. Anspruch auf Sozialleistungen wird er nur in dem Land haben, dem er zugeteilt wurde - dies soll verhindern, dass die Asylbewerber doch in ihr bevorzugtes Land gehen. Unter "außergewöhnlichen Umständen" kann sich ein Land bis zu 30 Prozent und für maximal zwölf Monate aus dem Verteilungsmechanismus ausklinken.

Der Luxemburger Ratschef Asselborn sagte, er gehe davon aus, dass alle Länder den Beschluss umsetzen würden, da er nun geltendes EU-Recht sei. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sagte, die Länder, die mit Nein gestimmt haben, hätten die Entscheidung anschließend akzeptiert. Dagegen sagte der slowakische Minister Robert Kalinak im Anschluss, sein Land werde nun eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof prüfen.

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