EU legt Daumenschrauben an: Autohersteller sollen strenger kontrolliert werden

Brüssel · Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein und erhöht damit den Druck bei der Reform von Marktaufsicht und Typgenehmigung

 EU-Kommission in Brüssel: Nach Einschätzung der Behörde könnten sechs Euro-Staaten verbindliche europäische Defizitziele verfehlen. Foto: Thierry Monasse/Archiv

EU-Kommission in Brüssel: Nach Einschätzung der Behörde könnten sechs Euro-Staaten verbindliche europäische Defizitziele verfehlen. Foto: Thierry Monasse/Archiv

Die EU-Kommission versucht seit Monaten, Konsequenzen aus dem VW-Abgasskandal zu ziehen. Doch viele EU-Hauptstädte wollen den Reformschwung aus Brüssel bremsen. Nun zieht die Kommission die Daumenschrauben an. Wie zu hören ist, haben die 28 Kommissare bei ihrer wöchentlichen Sitzung beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, Griechenland, Litauen, Luxemburg, Spanien, Tschechien und Großbritannien einzuleiten.

Donnerstag soll der Beschluss verkündet werden. Der Vorwurf ist, dass diese Länder keine "wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionsmaßnahmen" erlassen. Mit Strafen sollen Hersteller wie etwa VW belegt werden, die trotz Verbotes auf Tricks wie Abschalteinrichtungen setzen, wie sie im Diesel-Skandal eine Rolle gespielt haben.

EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska hatte im Parlament bereits gedroht, Verfahren wegen Vertragsverletzung einzuleiten. Nun macht sie Ernst. Womöglich kommt damit Bewegung in die dümpelnde Reform, bei der es um die Zulassungsverfahren für neue Autotypen in der EU ("Typzulassung") und um die Marktüberwachung durch die nationalen Behörden geht. Die Vorgeschichte ist: Immer wieder gab es Hinweise auf Mauschelei. Es hieß, nationale Zulassungsbehörden würden bei Herstellern aus dem eigenen Land Augen zudrücken und Verstöße gegen Abgas- und Umwelt, Sicherheits- oder Zulassungsvorschriften nicht konsequent ahnden.

Auslöser für die Reform war der Daimler-Kältemittel-Streit der Kommission mit Deutschland im Jahr 2013. Als der Hersteller bei seiner neuen Kompaktklasse Sicherheitsbedenken gegen ein auf EU-Ebene vorgeschriebenes Kältemittel in Klimaanlagen hatte, griff er zu einem Kniff: Daimler holte für die neue A-Klasse keine neue Typgenehmigung ein, sondern setzte auf die Erlaubnis für den Vorgänger-Typ gleichen Namens. So konnte das alte, eigentlich überholte Kältemittel in neuen Modellen zum Einsatz kommen. Das Kraftfahrzeug-Bundesamt (KBA) spielte mit. Die Kommission erkannte, dass sie kaum Instrumente hat, um diese Praxis zu unterbinden, und wollte handeln. Die Kommission war dann schon fast fertig mit der Reform der Typzulassung, da kam im Herbst 2015 die VW-Diesel-Affäre ans Licht.

Obwohl Abschalteinrichtungen zur Manipulation von Testergebnissen seit Jahren verboten sind, hatte keine nationale Behörde an ihrem systematischen Einsatz Anstoß genommen. Die Kommission überarbeitete dann die Pläne und legte Anfang 2016 eine verschärfte Version vor. Sie sieht vor, dass die Typzulassung nach fünf Jahren erlischt. Mittlerweile ist VW mit seinem Golf beim siebten Modell angekommen, die Typzulassung ist aber immer noch die gleiche wie in beim Ur-Golf den 70er Jahren. Außerdem will die Kommission durchsetzen, dass künftig die Hersteller nicht mehr die Typzulassung etwa beim TÜV oder bei Dekra selbst bezahlen.

Vielmehr soll die nationale Zulassungsbehörde den Test in Auftrag geben, die Rechnung begleichen und sich das Geld vom Hersteller holen. Damit sollen Interessenkonflikte vermieden werden. Zudem will die Kommission Defizite bei der Marktüberwachung ausmerzen. Während Herstellern in den USA bei Verstößen gegen die Typzulassung eine Strafe von 30 000 US Dollar pro ausgeliefertes Fahrzeug droht, sind die Sanktionen in der EU von Land zu Land unterschiedlich. Die EU-Kommission will, dass künftig bei Verstößen etwa gegen Sicherheits- oder Umweltvorschriften je Auto eine Strafe von 30 000 Euro verhängt wird und das betreffende Modell komplett vom Markt genommen werden kann.

Doch in den Mitgliedsländern und im Parlament regt sich Widerstand. Beide Gremien müssen zustimmen. Italien, Luxemburg, Polen und andere wehren sich strikt dagegen, dass die Kommission gestärkt wird und mehr Kompetenzen bekommen soll. Zurzeit hat die Slowakei in der EU die Ratspräsidentschaft inne, führt also im Ministerrat die Geschäfte. Das Land, das zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung mit der Automobilbranche erzielt, "ist nicht sonderlich ambitioniert bei der Sache", hört man von EU-Diplomaten.

Berlin dagegen zählt nicht zu den Bremsern. Auch deutsche Hersteller haben im Prinzip nichts gegen die Reform. "Sie muss nur bezahlbar sein", heißt es in der Branche. Sie will erreichen, dass eine Typgenehmigung mindestens so lange gültig ist, wie ein Modell gebaut wird. "Acht Jahre halten wir für angemessen." Der CDU-Experte für den Binnenmarkt im Europa-Parlament, Andreas Schwab (CDU), sieht im Ausschuss durchaus "fraktionsübergreifend Einigkeit, dass Typgenehmigung und Marktüberwachung neu geregelt werden müssen." Man brauche auch einen einheitlichen europäischen Ansatz. Er sei nicht dafür, den Mitgliedsstaaten die Marktüberwachung wegzunehmen. Aber: "Die müssen hier künftig mehr tun."

Diejenigen, die auf Reformen pochen, sahen sich kürzlich bestätigt: Es wurde bekannt, dass der KBA-Chef unter eine Mail an einen Hersteller den Zusatz "Mit industriefreundlichen Grüßen" gesetzt hatte.

Extra Genehmigungsprozess:
Bevor ein neuer Auto-Typ auf den Markt kommt, prüfen die nationalen Behörden, ob das Fahrzeug alle einschlägigen EU-Vorschriften etwa zur Sicherheit bei Unfällen, Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch einhält. Der Hersteller stellt dafür etwa ein Dutzend Fahrzeuge aus den ersten Fertigungszyklen zur Verfügung. Die Prototypen werden geprüft: Sind die Scheinwerfer hell genug? Stimmt die Bremswirkung? Fallen Crashtests mit Dummies zufriedenstellend aus? Ist der Motor nicht zu laut? Entsprechen Sitze und Airbags den Vorschriften? Wenn alles zufriedenstellend ist, bekommt der Hersteller die Typgenehmigung. Damit kann er das Fahrzeug in jedem Mitgliedsland der EU auf den Markt bringen. Jedes einzelne Fahrzeug, das vom Band läuft, wird mit einer Bescheinigung des Herstellers ausgestattet. Der Hersteller garantiert damit, dass es mit dem Prototyp übereinstimmt.
Marktaufsicht: Die EU-Mitgliedsländer sind dafür zuständig, den Markt zu überwachen. Sie müssen kontrollieren, ob das Fahrzeug in der Praxis tatsächlich die Umwelt-und Verbrauchsvorschriften einhält. Ist der Ausstoß von Schadstoffen nicht höher als bei den Prototypen? In der Vergangenheit haben die nationalen Behörden dabei immer wieder versagt. Nicht nur beim VW-Skandal. Die EU-Kommission will daher nun Durchgriffsrechte auf nationaler Ebene haben. Sie will selbst stichprobenartig Fahrzeuge testen, die bereits auf dem Markt sind. Sie will das Recht haben, Strafen zu verhängen, wenn es Abweichungen und Verstöße gibt. Außerdem sollen die Testergebnisse der nationalen Behörden den Behörden in allen anderen Mitgliedsstaaten zur Verfügung stehen. Meinung

Mit zweierlei Maß

Von Markus Grabitz

Es steht die Rechtshygiene auf dem Spiel. Bürger haben ein sensibles Gespür dafür, wenn sich die Behörden nicht an Recht und Gesetz halten. Es ist verhängnisvoll für das Verhältnis zwischen den Menschen und dem Staat, wenn dessen Repräsentanten alle Augen zudrücken und Vorschriften ignorieren. Rund um den Autokauf macht der Verbraucher in Europa seit Jahren diese unangenehme Erfahrung. Autos verbrauchen mehr als die Kataloge ausweisen, und niemand zieht dafür die Hersteller zur Rechenschaft. Abschalteinrichtungen, wie sie VW systematisch eingesetzt hat, sind seit Jahren verboten. Und dennoch fällt die Schummelpraxis nicht den hiesigen Behörden auf, sondern in den USA.

Offenbar nehmen die italienischen Behörden auf Fiat Rücksicht. Sie ignorieren alle Hinweise aus Deutschland, dass es gewisse Abweichungen bei den Testergebnissen gibt. Aus falsch verstandener Solidarität mit der wichtigsten Branche in Deutschland haben sich die deutschen Behörden nicht einmal getraut, auch nur die Möglichkeit von Geldbußen vorzusehen, falls sich Hersteller bei den ausgelieferten Fahrzeugen mit gravierenden Abweichungen vom Prototyp erwischen lassen.

Die Marktaufsicht in Europa ist eine Katastrophe. Jeder Autofahrer, der den TÜV-Termin verschwitzt, muss mit einer Buße rechnen. Dagegen können die Konzerne bis heute auf Nachsicht hoffen. Das darf so nicht weiter gehen. Daher ist es ein Verdienst der Kommission, dass sie auf Reformen drängt. Schon gibt es allerdings Hinweise, dass manche Mitgliedsstaaten es mit den Aufräumarbeiten nach dem VW-Skandal nicht ernst nehmen wollen.

Als Motiv ist dabei wohl auch im Spiel, dass sie dem ungeliebten Brüssel keine weiteren Kompetenzen gönnen. Damit erweisen sie sowohl ihrer Industrie als auch den Bürgern einen schlechten Dienst. Die Verbraucher haben einen Anspruch darauf, dass endlich die Versprechen der Autohersteller eingehalten und konsequent kontrolliert werden.

Und bei der Industrie? Nur die schwarzen Schafe unter den Herstellern profitieren, wenn es in dem einen oder anderen Land weiter lasche Vorschriften gibt. Im Interesse der seriösen Hersteller ist es, wenn überall im Binnenmarkt das gleiche Recht gilt.

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