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Debatte über Hauptschulen Wolfgang Gerhardt, Fraktionschef der FDP, hatte ein Experiment gewagt. Er wollte im Bundestag einen lokalen Vorgang aufgreifen, die Vorkommnisse an der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln, um "weit darüber hinaus" allgemein über Integrationsprobleme von Migranten zu reden.

Doch die von ihm initiierte Aktuelle Stunde misslang am Mittwoch gründlich. Im Herbst ist in Berlin Wahlkampf, und der hielt die Debatte auf dem Niveau eines Stadtparlaments. Die Tonlage gaben vor allem die Redner der Unions-Fraktion vor, allen voran Friedbert Pflüger, der in der Hauptstadt als Herausforderer des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) antritt. Begleitet von Zwischenrufen aus den SPD-Reihen gegen den Neu-Berliner warf Pflüger der Stadt eine "total verfehlte Bildungspolitik" vor, für die der rot-rote Senat die Verantwortung trage. Für die Grünen sprach Renate Künast, für die SPD Klaus-Uwe Benneter und für den Bundesrat der Berliner Bildungssenator Klaus Böger (SPD). Der gab sich durchaus selbstkritisch, was die langsame Reaktion seiner Verwaltung auf den Hilferuf der Rütli-Lehrer anging, versuchte aber auch Verantwortung bei anderen abzuladen. "Arbeits- und Perspektivlosigkeit sind kein Problem der Bildungspolitik", meinte er - und dass nicht nur Berlin ein Gewaltproblem an den Schulen habe. "Da soll man nicht mit dem Finger hin- und herzeigen". Böger wies darauf hin, dass Berlin Betreuungsplätze für 90 Prozent aller Kinder anbiete und Sprachtests schon vor vier Jahren eingeführt habe. Insofern sei das, was Bayern jetzt vorschlage, in der Hauptstadt "längst Gesetz". Das übergreifende Thema intonierte am kräftigsten Wolfgang Gerhardt selbst. Er sprach von einem "jahrelangen Realitätsverlust in der Integrationspolitik in Deutschland" und geißelte, dass die Forderung, Zuwanderer und deren Kinder sollten Deutsch lernen, noch vor wenigen Jahren als Zumutung empfunden worden sei. "Dabei ist das eine bare Selbstverständlichkeit". Er hoffe, dass es dafür jetzt einen Durchbruch gebe. Es müsse Sanktionen gegen Elternhäuser geben, die ihren Kindern das Erlernen des Deutschen vorenthielten. "Toleranz darf nicht Gleichgültigkeit sein", rief Gerhardt aus. Die Bundesregierung immerhin sieht in dem Thema nicht nur ein lokales Vorkommnis. Bis 2010 werde die Hälfte der jungen Menschen in den Großstädten einen Migrations-Hintergrund haben, sagte die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU). Es handele sich damit nicht mehr nur um Probleme einer Minderheit. Die Bundesregierung werde die Integration zu einem Schwerpunktthema machen, auch dann noch, wenn die Fernsehscheinwerfer nicht mehr auf die Rütli-Hauptschule gerichtet seien. "Die Zeit des Wegschauens ist vorbei", sagte Böhmer.Werner Kolhoff

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