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Ehrliche Antworten statt falscher Versprechen

TRIER. In ein paar Wochen tritt sie in Kraft: Die angeblich größte Gesundheitsreform in der Geschichte der Bundesrepublik. Ist sie der richtige Weg, die Ausgaben zu senken? Darüber diskutierten wir mit dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Trier, Carl-Heinz Müller, dem Chef der Barmer Ersatzkasse in Trier, Norbert Dixius und seinem Kollegen von der AOK, dem Bezirksgeschäftsführer Hermann-Josef Huggenberger.

Herr Müller, die Patienten müssen bluten, die Ärzte kommen ungeschoren davon. Ist das Sinn der Gesundheitsreform? Müller: Es soll doch nicht immer so getan werden, als ob wir ungeschoren bei der Reform davon kommen. Die Ärzte müssen auch ihre finanziellen Opfer bringen. Zum Beispiel müssen wir einen Solidarzuschlag für die ostdeutschen Ärzte zahlen in Höhe von 0,2 Prozent des Budgets, plus ein Prozent für die integrierte Versorgung zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten und wir müssen die zweite Nullrunde in zwei Jahren wegstecken. Außerdem sind in den Arztpraxen genau wie überall die Betriebskosten gestiegen. Herr Huggenberger, Herr Dixius, geht es den Ärzten so schlecht? Dixius: Die Reform fordert von Allen, die am Gesundheitssystem beteiligt sind, Opfer. Es wird ein Finanzvolumen von 23,1 Milliarden Euro angepackt, soviel wie noch in keiner Reform vorher. Dabei tragen zu einem ganz wesentlichen Teil die Versicherten die Hauptlast. Letztlich werden auch den Kassen weitere finanzträchtige Aufgaben übertragen. Wir alle müssen den Gürtel etwas enger schnallen und somit auch die Ärzte. Huggenberger: Sicherlich sind die sehr guten Zeiten auch für viele Ärzte vorbei. Das Gesamtbudget ist meines Erachtens jedoch nach wie vor ausreichend. Würden nicht enorme Gelder zum Beispiel durch Doppeluntersuchungen und unnötige Röntgenleistungen verschwendet, wäre für die notwendige ärztliche Behandlung sogar noch mehr Geld vorhanden. Auf der anderen Seite ist es zu einfach, nur den Ärzten die Schuld an der derzeitigen Misere zu geben. Hier hätte ich mir gewünscht, dass der Gesetzgeber auch bei der Pharmamedizin deutlich mehr einfordert. Sparen die Krankenkassen eigentlich auch? Oder anders gefragt: Können Sie überhaupt garantieren, dass die Beiträge, wie von Gesundheitsministerin Schmidt versprochen, im nächsten Jahr sinken werden? Huggenberger: Natürlich will auch die AOK den Beitrag senken, doch es zeichnet sich ab, dass die von der Politik versprochene Beitragssenkung von 0,7 Prozentpunkte auch uns sehr schwer fallen wird. Bedingt durch die schlechte Wirtschaftslage sind einfach die Einnahmen zu niedrig. Wir sind derzeit in der Haushaltsplanung. Eine Entscheidung wird Anfang Dezember fallen. Dixius: Wir haben definitiv eine Beitragssenkung zugesagt. Wir werden die Spielräume zur Beitragssatzsenkung 2004 vollständig ausschöpfen. Die allgemeine Arbeitsmarktsituation sowie die gesetzgeberischen Maßnahmen in den vergangenen Jahren führen jedoch dazu, dass die beitragspflichtigen Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung um fast einen Prozentpunkt zurückgegangen sind. Allein durch die Absenkung der Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitslosenhilfe-Empfänger fehlen den gesetzlichen Krankenkassen 700 Millionen Euro. Demgegenüber stehen weiter steigende Ausgaben für Arzneimittel. Also eine Mogelpackung, das Versprechen der Gesundheitsministerin, dass die Beiträge fallen? Müller: Das sind wir ja von der Politik gewohnt, dass Versprechen nicht gehalten werden. Die Politik verlangt Beitragssenkungen, obwohl die Einnahmen der Kassen zurückgehen. Diese Reform ist einfach nur eine Flickschusterei. Wo sollen denn die zusätzlichen Beitragszahler herkommen? Dixius: Möglichst alle Bürger müssen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Besserverdienende oder Beamte dürfen sich nicht entziehen. Sie sprechen die Bürgerversicherung an Dixius: Ich möchte mich nicht auf Bürgerversicherung oder Kopfpauschale festlegen, sondern für eine stärkere Solidarität eintreten. Es darf nicht länger sein, dass die jungen Gesunden und Gutverdienenden sich der Solidargemeinschaft entziehen können. Huggenberger: Die derzeitigen Ideen wie Bürgerversicherung und Kopfpauschale sind zunächst einmal auf ihre Finanzierbarkeit und Ausgaben hin zu überprüfen. Wichtig ist aber, dass zukünftig neben dem Arbeitslohn auch zusätzliche Einnahmen zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung mit herangezogen werden müssen. Hierdurch werden die Lasten gerechter verteilt. Warum haben wir immer noch knapp 350 Krankenkassen? Huggenberger: Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 600. Es wird sicherlich auch weiterhin insbesondere im Bereich der Betriebskrankenkassen Fusionen geben. Die großen Krankenkassen haben dies in der Vergangenheit ja bereits praktiziert. Wir sollten jedoch aufpassen, dass Wettbewerb und Service weiterhin vorhanden ist. Dies würde eine Einheitsversicherung sicherlich nicht bieten. Dixius: Die Einheitskasse kann nicht die Lösung des Problems sein. Es würde weniger Service für die Versicherten geben, aber auch die Vertragspartnerschaften zu den Ärzten oder Krankenhäusern ginge damit verloren. Es wäre dann wie beim Finanzamt: Die Kunden könnten nicht weglaufen. Allerdings führt kein Weg an weiteren Fusionen von Kassen vorbei. Es muss sicherlich auch in dem einen oder anderen Fall über den Standort einer Geschäftsstelle nachgedacht werden. Die Kassen sind derzeit auf Kundenfang. Fast alle bieten Bonusmodelle und Selbstbeteiligung an. Damit buhlen sie doch um die jungen Gesunden, oder? Dixius: In erster Linie wollen wir mit den Bonusmodellen zu einer gesünderen Lebenshaltung motivieren, weil damit auch Behandlungskosten gespart werden können. Wer sich mehr bewegt und gesünder ernährt, wird weniger oft krank. Mit den Selbstbeteiligungsmodellen wollen wir natürlich die so genannten guten Risiken bei uns halten. Huggenberger: Hierbei ist wichtig, dass durch die Bonusmodelle die Vorbeugeleistungen wie Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen gefördert werden sollen. Hier bemängeln ja auch zu Recht die Ärzte, dass in diesem Bereich zu wenig getan wird. Herr Müller, als Arzt müssten Sie jetzt doch Hurra schreien, weil die Kassen, die Leute zu mehr Bewegung anhalten. Müller: Das Bonussystem ist ja nichts Neues. Das kennen wir ja von den Zahnärzten, da hat es sich bewährt. Das halte ich für ein gutes Modell, das macht Sinn. Allerdings darf es nicht soweit kommen, dass etwa Raucher oder Übergewichtige mit einer Art Geheimpolizei überprüft werden, ob sie auch gesund leben. Was aber reines Marketing ist, ist die Sache mit der Eigenbeteiligung. Das kommt von den privaten Kassen. Und das werden vor allem die Gesunden nutzen und nicht die Kranken, die sowieso ständig zum Arzt müssen. Damit werden die Einnahmen mit Sicherheit nicht verbessert werden, sondern einzig und allein die Mitgliederseite. Stichwort: Praxisgebühr. Die Kassen müssten doch froh sein, dass sie eingeführt wird, um das ungeliebte Ärzte-Hopping einzudämmen. Und nun streiten sich Kassen und Ärzte darum, wer die Gebühr eintreiben soll. Huggenberger: Ich bin mir sicher, dass durch die Praxisgebühr das Ärzte-Hopping eingedämmt wird und somit für notwendige ärztliche Behandlung auch mehr Honorar zur Verfügung steht. Der derzeitige Streit bezüglich der Inkasso-Pflicht ist total unsinnig und verunsichert nur Patienten und Versicherte. Der Gesetzgeber hat nunmal festgelegt, dass die Ärzte die Praxisgebühr einziehen und wir sollten gemeinsam die kurze Zeit bis Januar nutzen um den Versicherten über die Praxisgebühr zu beraten. Müller: Die Kassen haben einfach gesagt, wir treiben das Geld nicht ein, weil es ihnen zu aufwändig und bürokratisch ist. Jetzt haben wir das am Bein. Und wenn wir zehn Euro eintreiben und anmahnen wollen, ist der Aufwand dafür viel höher und teurer. Die zehn Euro sind eigentlich eine Kassengebühr und kein Honorar für den Arzt. Wie es wirklich mit der Praxisgebühr läuft, kann aber derzeit niemand sagen. Dixius: Das ist es eben: Klar ist, dass nichts klar ist. Wie lange dauert es bis zur nächsten Gesundheitsreform? Dixius: Nach den Wahlen 2006 wird eine neue Reform geschnürt werden müssen. Und dabei muss dann auch ehrlich angesprochen und gelöst werden, was wir uns noch leisten können. Höhere Eigenbeteiligungen sind nicht die Lösung. Huggenberger: Das, was wir jetzt haben ist eine reineKostendämpfung leider insbesondere zu Lasten der Versicherten. Wir brauchen aber eine echte Strukturreform, die unter anderem die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung weiter entwickelt. Müller: Wir brauchen vor allem eine langfristige Gesundheitspolitik an der alle Beteiligten mitarbeiten und nicht allein die Politik die Vorgaben macht, die alle dann umzusetzen haben. Das Gespräch führte unser Redakteur Bernd Wientjes.

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