Ein Bazillus und die Ohnmacht der Medizin

TRIER. Methicillin-resistenter Staphylcoccus aureus, kurz MRSA, ist im Krankenhaus zum Problem geworden - für die Ärzte und auch fürs Kosten-Controlling. Die Krankenhäuser greifen zu aufwendigen Maßnahmen. Die sind allerdings teuer. Abhilfe könnten Vorsorgeverfahren bringen, wie sie in Holland und Dänemark üblich sind.

Die Untersuchung in der Krankenhaus-Aufnahmestation scheint reine Routine zu sein. Bis die Untersuchung eine brisante Diagnose ergibt: MRSA, der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus. Dann ändert sich die Situation des Kranken abrupt. "Strikte Isolierung" ordnet ein Merkblatt an, das die Hygieneabteilung im Trierer Mutterhaus herausgegeben hat. Das ist kein Einzelfall. Schon vor Jahren hat das Robert-Koch-Institut in Wernigerode Empfehlungen herausgegeben, die von den Hygienebeauftragten der Krankenhäuser umgesetzt werden. Für einen MRSA-Fall bedeutet das: Hände-Desinfektion, ein Schutzkittel pro Patient, Mund- und Nasenschutz für alle, die das Zimmer betreten, Einmalhandschuhe, Desinfektion aller Gegenstände, die aus dem Patienten-Zimmer mitgenommen werden, Desinfektion sämtlicher Flächen. Nach Berechnungen der deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene kostet ein Isoliertag zusätzlich 170 Euro, bei Intensivtherapie sogar 370 Euro. "Damit kommt man in der Regel nicht aus", sagt Hygienepfleger Thomas Schuh vom Trierer Brüderkrankenhaus. Die MRSA-Infektionen in Krankenhäusern haben sich zum brisanten Problem entwickelt, stellt Volker Hochdörffer, Neurochirurg und Hygienebeauftragter im Brüderkrankenhaus, fest. Konkrete Zahlen wollen die zuständigen Stellen in Trier generell nicht nennen, sie beteuern aber, dass jeweils ihr Krankenhaus unter dem bundesweiten Mittelwert liege. In Deutschland ist die so genannte Inzidenz von durchschnittlich 1,7 Prozent im Jahr 1990 auf 20,7 Prozent im Jahr 2001 gestiegen. Das bedeutet: In den Krankenhäusern sprangen vor 15 Jahren von 100 Keimen nur etwa zwei nicht auf Antibiotika an. Vor vier Jahren war es schon jeder fünfte Keim, dem das Antibiotikum nichts ausmachte. Tendenz weiter steigend.Medikamante helfen nicht mehr

MRSA-Keime befallen vor allem Immungeschwächte, Pflegebedürftige, Brandverletzte und Patienten mit künstlichen Ein- und Ausgängen und Implantaten. Sie können schwere Wundinfektionen und sogar Lungenentzündungen verursachen. Medikamente helfen dann in der Regel nicht mehr. Die Ursachen für die Misere sind inzwischen zweifelsfrei ermittelt: es ist zum einen der sorglose Umgang mit Antibiotika bei ärztlichen Verordnungen. Ein zweiter Grund ist der Antibiotika-Einsatz in der Tiermast. Dass über die Fleischprodukte, aber auch über die Umwelt eine Übertragung der Stoffe auf den Menschen möglich ist, und damit eine Ausweitung der Resistenz, hat das Robert-Koch-Institut in Wernigerode bereits vor sechs Jahren nachgewiesen. Hinzu kommt, dass die Zahl der anfälligen Patienten steigt, weil die Menschen älter werden. Deswegen konzentriert sich die MRSA-Gefahr auf die Krankenhäuser. Bei gesunden Menschen mit funktionierendem Immunsystem bricht eine MRSA-Infektion normalerweise gar nicht aus. Das hat allerdings auch eine Kehrseite: Jeder kann Träger des MRSA sein, ohne das zu wissen. Ins Krankenhaus kann er den Bazillus unbemerkt einschleppen. In Dänemark und den Niederlanden wurden deswegen strikte Hygienemaßnahmen durchgesetzt. Dort führte man für Neuzugänge im Krankenhaus eine Schutzisolierung ein. Sie wird erst aufgehoben, wenn der Patient nachweislich MRSA-frei ist. Zudem wird der wöchentliche Antibiotikaverbrauch jeder Arztpraxis kontrolliert. In den Niederlanden liegt die Inzidenz immer noch unter einem Prozent. Tendenz stabil. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene fordert deswegen verstärkte Hygienemaßnahmen. Davon haben die Krankenhäuser einige umgesetzt. Peter Leonards, Hygienebeauftragter im Trierer Mutterhaus, stellt nicht ohne Genugtuung fest, dass MRSA-Infektionen bisher immer von außen ins Krankenhaus hereingetragen wurden und in der Klinik selber nicht übertragen worden sind. Und Volker Hochdörffer schließt die Weitergabe von MRSA-Trägern in andere Einrichtungen weitgehend aus. Wie steht es mit Überweisungen von außen in die eigene Klinik? Da sei er sich allerdings nicht so sicher. Über die Situation in den Altenheimen herrscht nämlich noch keine Klarheit. Ein "echtes Problem" macht jedenfalls Volker Hochdörffer aus. Einigkeit besteht zwischen den Hygiene-Experten indes in der Überzeugung, dass die Krankenhaus-üblichen Isoliermaßnahmen in Alterheimen nicht strikt durchzuführen sind. Da kollidiert die Medizintechnik mit dem Menschenbild. Für alte Menschen sind Kontakte mit anderen lebenswichtig.

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