Ein Höhenflug für die Kernenergie

Die rasant steigenden Öl- und Gaspreise haben den Streit zwischen Union und SPD über die Atomenergie neu angeheizt. Die SPD-Spitze warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag, an dem vereinbarten Ausstieg zu rütteln.

Berlin. Die grüne Vize-Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn zählte gestern auf: Ein Jahr nach dem "Beinahe-Gau" im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark und den Vorfällen in den deutschen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel sowie angesichts des "Atom-Skandals im Bergwerk Asse" sei es "geradezu makaber, längere Laufzeiten zu fordern", so Höhn.

Auch die Grünen kämpfen derzeit verzweifelt um ihr politisches Erbe aus der rot-grünen Zeit - um den Atomausstieg. Doch es scheint, als ob es ein vergeblicher Kampf werden wird. Denn die Befürworter einer Abkehr vom Ausstieg erleben derzeit einen ungeahnten Höhenflug. Zwar mahnt auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, den Konflikt, "der 30 Jahre lang die Republik im wahrsten Sinne gespalten hat", nicht wieder aufzureißen. Doch dazu ist es zu spät: Die Verfechter der Kernenergie haben Oberwasser bekommen durch den dramatischen Anstieg der Energiepreise und durch das wachsende Klimaproblem. Die Debatte unter dem neuen Stichwort "Atomkraft, ja bitte!" ist entfacht.

Union wittert Morgenluft

Insbesondere die Union sieht sich in ihrer Forderung nach längeren Laufzeiten der Meiler bestärkt und schürt Hoffnungen: Gewinne aus einer längeren Laufzeit von Atomkraftwerken "kann man ja in die Preissenkung mit hineinbringen", so unlängst Kanzlerin Merkel. Bei einem Festhalten am Atomausstieg könne hingegen Strom teurer werden. Noch teurer? Solche und andere Prognosen der Kernkraft-Befürworter lassen die von steigenden Kosten geplagten Bürger aufhorchen: Ein Sinneswandel hat begonnen, jedenfalls scheint sich der Blick auf die Risikotechnologie zu verändern, wie jüngste Umfragen belegen: 44 Prozent der Bundesbürger halten den Atomausstieg für falsch, so viele, wie schon lange nicht mehr. Sicher ist: Die Union wittert Morgenluft und wird mit dem Thema in den Bundestagswahlkampf 2009 ziehen. Reagieren müssen darauf dann die anderen.

"Das ist doch unverantwortlich, solange die Frage nach der Entsorgung hoch radioaktiven Abfalls nicht gelöst ist", schimpft deshalb SPD-Fraktionschef Peter Struck. Doch auch bei den Sozialdemokraten wächst zum Leidwesen der Parteiführung die Bereitschaft, vorsichtig über einen neuen Atomkonsens nachzudenken. Und sollte das Argument von den sinkenden Energiepreisen mit Hilfe der Kernenergie weiter bei den Bürgern auf offene Ohren stoßen, werden sich bei den Sozialdemokraten die Stimmen für einen Kursschwenk mehren. Vorgeprescht ist SPD-Vordenker Erhard Eppler: Er schlägt Union und SPD einen Handel vor, nämlich die Atommeiler länger laufen zu lassen, wenn zugleich der Bau neuer Kraftwerke per Grundgesetz ausgeschlossen wird.

Längere Laufzeiten sind das eine, der Bau neuer Meiler das andere. Die übrigen G8-Länder wollen die Atomkraft ausbauen. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) schließt dies nun ebenfalls für Deutschland nicht aus.

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