Ein Kind, eine Stimme

BERLIN. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", heißt es im Grundgesetz. Und weil zum Volk auch Kinder und Jugendliche gehören, müssen die auch mitbestimmen dürfen - finden zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. Sie fordern, dass Eltern bei Wahlen für ihre minderjährigen Kinder Stimmen abgeben dürfen.

Die Idee ist nicht neu. Familien machen die Hälfte der deutschenBevölkerung aus, aber nur ein Drittel der Wähler - kein Wunder,dass ihre Interessen nicht stark genug vertreten werden! Mitdiesem Argument wurde in den vergangenen Jahren immer wieder dasRecht für Eltern gefordert, bei Wahlen auch Stimmen für ihreminderjährigen Kinder abgeben zu können. Weit ins öffentlicheBewusstsein haben es solche Vorstöße bisher allerdings nichtgebracht. Das könnte sich nun ändern: In der heute erscheinenden Ausgabe des Magazins "Stern" kündigen die FDP-Bundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms und Klaus Haupt eine überparteiliche Initiative zu einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes an - und erhalten prominente Unterstützung: von Ex-Bundespräsident Roman Herzog zum Beispiel, von Familienministerin Renate Schmidt, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, oder dem Vizepräsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel.

"Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren und damit 20 Prozent des Volkes darf nicht generell der Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt versagt werden", argumentieren die Initiatoren, und: "In vielen Bereichen werden immer mehr Lasten in die Zukunft verschoben." Ihr Ziel: ein "Wahlrecht ab Geburt", das Eltern wahrnehmen sollen, bis das Kind volljährig ist. Ein Grundrecht zu haben, dürfe nicht davon abhängen, es ausüben zu können, argumentieren Befürworter des Familienwahlrechts - eine stellvertretende Wahlentscheidung der Eltern für das Kind sei die geringst mögliche Einschränkung des allgemeinen Wahlrechts.

Doch nicht überall stößt der Vorstoß, der die Zahl der Wahlberechtigten um rund 14 Millionen erhöhen würde, auf Gegenliebe: Auf Seiten der Verfassungsrechtler werden Vorwürfe eines Mehr-Klassenwahlrechts laut. Räume man Eltern wegen der Bedeutung der Familie ein stärkeres Gewicht bei Wahlen ein, wecke man Begehrlichkeiten in anderen Gruppen - etwa bei besonders Wohlhabenden, die über eine große Wirtschaftskraft verfügten. Hinzu kommen Praktikabilitäts-Probleme. Wie sollen die Stimmen der Kinder aufgeteilt werden, wenn Vater und Mutter unterschiedliche politische Ansichten vertreten? Weiterer Kritikpunkt: Eltern setzen bei den Wahlen ihre eigenen Interessen durch, nicht die der Kinder - schließlich können sie schlecht die Partei wählen, die ihr dreijähriger Spross deshalb präferiert, weil ihm deren Farbe am besten gefällt.

Das Bundesverfassungsgericht lehnte 1997 die erste Verfassungsklage zur Einführung des Kinderwahlrechts genauso ab wie drei Jahre später eine ebenfalls darauf zielende Wahlprüfungsbeschwerde. Doch die Rechtslage ist keineswegs eindeutig, wie die Befürwortung des Familienwahlrechts durch den ehemaligen Verfassungsgerichts-Präsidenten Roman Herzog zeigt.

Beim Kolpingwerk im Diözesanverband Trier, das sich intensiv mit Familienpolitik beschäftigt, möchte man zum Thema Familienwahlrecht noch kein Urteil abgeben. Der Trierer Diözesansekretär des Sozialverbands, Richard Feichtner, berichtet: "Bei uns gehen die Meinungen noch auseinander - genau wie in der Bevölkerung."

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