"Ein Klavierspieler wird kein Bauarbeiter"

BERLIN. Im Vermittlungsausschuss haben sich Koalition und Opposition auf schärfere Auflagen für Langzeitarbeitslose und eine Lockerung des Kündigungsschutzes verständigt. Die Maßnahmen sollen am Freitag im Bundestag verabschiedet werden. Darüber sprachen wir mit dem Arbeitsmarktexperten der SPD, Klaus Brandner.

Herr Brandner, wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, muss ab 2005 praktisch jeden Job annehmen. Droht uns ein Lohndumping, wie die Gewerkschaften befürchten? Klaus Brandner: Die Gefahr, dass Arbeitslosigkeit auf die Löhne drückt, ist immer gegeben. Schon nach geltendem Recht ist aber grundsätzlich jede Arbeit annehmbar. Wer zum Beispiel sechs Monate arbeitslos ist, muss einen Job annehmen, der 30 Prozent unter dem vormaligen Lohnniveau liegt. Bei der späteren Arbeitslosenhilfe gilt die Höhe dieser Leistung als finanzielle Grundlage für die Zumutbarkeit einer Arbeit. Künftig wird nun auch eine gering bezahlte Teilzeittätigkeit zumutbar sein, die teilweise mit Arbeitslosengeld II aufgestockt wird. Wäre einem Professor, der länger als ein Jahr arbeitslos ist, ein Job als Toilettenwart zumutbar? Brandner: Das ist ein willkürliches Beispiel. Eine Arbeit ist dann nicht zumutbar, wenn durch diese Tätigkeit eine zukünftige Arbeitsaufnahme gefährdet ist. Also, einem Klavierspieler kann man keinen Job als Bauhilfsarbeiter zuweisen. Sie erwecken den Eindruck, als bliebe durch die Neuregelungen im Wesentlichen alles beim Alten. Brandner: Natürlich gibt es wesentliche Veränderungen. So erhalten künftig alle Leute bis zum 25. Lebensjahr auf jeden Fall ein Ausbildungs- oder ein Arbeitsangebot. Auf der anderen Seite werden die Sanktionen bei Arbeitsverweigerung verschärft. Für Jugendliche bis 25 kann die Geldleistung ganz gestrichen werden. Für alle anderen kann das Arbeitslosengeld II um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Entgegen dem Regierungsplan greift der ordentliche Kündigungsschutz ab 2004 erst in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten. Mit der Verdoppelung der Schwellenwerts stehen laut Gewerkschaften zusätzlich knapp zwei Millionen Menschen ohne diese Sicherheit da. Was sagen Sie den Leuten? Brandner: Ich bejubele diese Regelung nicht. Aber wenn ich davon ausgehe, dass die Union den Schwellenwert bei 20 Beschäftigten ansetzen wollte, dann kann sich das Ergebnis sehen lassen. Es geht darum, schneller zu Neueinstellungen zu kommen. Die Linken in Ihrer Fraktion sehen das völlig anders. Einige wollen das Gesetz am Freitag ablehnen. Wie wichtig ist Ihnen die eigene Koalitionsmehrheit? Brandner: Ich werbe sehr dafür. Denn durch das Gesamtpaket wird sich die Arbeitsmarktsituation verbessern. Ohne eine eigene Mehrheit ginge die Welt sicher nicht unter. Aber natürlich wäre es kein gutes Zeichen. S Mit Klaus Brandner sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

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