Ein Lob für die Leser

TRIER. Post aus Berlin und Mainz: Zahlreiche TV -Leser beteiligten sich im Februar an unserer Aktion "Im Namen des Volkes" und nannten ihrer Meinung nach unsinnige Vorschriften und Gesetze. Wir leiteten diese Vorschläge an die Bundes- und Landtagsabgeordneten der Region weiter - und fast alle meldeten sich mit einem Schreiben an die TV -Leser zurück.

Ein dickes Lob für die vielen TV -Leser, die demParagraphendschungel den Kampf angesagt haben: Fast alleAbgeordneten begrüßten das Engagement für den Bürokratieabbauausdrücklich. Einige kündigten an, jeden der Leser-Vorschläge zuprüfen. Darüber hinaus gab es aber auch Mahnungen: Nicht an allenMissständen sind Politiker schuld, lautet der Tenor, und: Werweniger Bürokratie will, muss auch mehr Eigenverantwortungübernehmen. "Der Abbau von Bürokratie ist für die Bundesregierung ein Topthema", schreibt KARL DILLER , Bundestagsabgeordneter der SPD, die Ende Februar einen "Masterplan" mit diesem Ziel verabschiedet hat. "Bis 2005 werden wir über 350 internetfähige Dienstleistungen der Bundesverwaltung online bereitstellen." Hinzu kämen Vereinfachen etwa beim Körperschaftsrecht oder dem Lohnsteuerverfahren. Diller erklärt, dass Gesetze, Satzungen und Verordnungen das Ergebnis sind, "wenn Interessengruppen und Bürger alles möglichst genau geregelt haben wollen." Wenn etwa Winzer die Durchforstung des Weingesetzes forderten, sollten sie wissen, dass alle weinrechtlichen Bestimmungen auf Verlangen ihrer Verbände und der Weinwirtschaft zustande gekommen seien.

ULRIKE HÖFKEN , die die Grünen im Bundestag vertritt, weist auf eine Gratwanderung hin: "Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen ist die von der rot-grünen Bundesregierung angekündigte Entbürokratisierung dringend notwendig." Doch "Bürokratieabbau darf nicht zu Qualitätsabbau führen", schreibt Höfken weiter. "Genau darin sehe ich unsere Aufgabe als Bundesregierung: "Bürokratie abbauen und gleichzeitig hohe Qualitätsstandards als wichtigen Standortfaktor erhalten."

Die CDU-Bundestagsabgeordneten PETER RAUEN, PETER BLESER und BERNHARD KASTER weisen auf Initiativen ihrer Partei zum Bürokratie-Abbau hin: "Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion befasst sich derzeit unter dem Motto 'Freiheit wagen - Bürokratie abbauen!' sehr intensiv mit der Materie und hat eine Handlungsanleitung entwickelt, wie Deutschland wieder fit gemacht werden kann", schreibt Rauen und kündigt an, die Vorschläge der TV -Leser an diese Kommission weiter zu leiten. Bleser erklärt, es gehe in dem CDU/CSU-Konzept unter anderem darum, dass für jede neue Verordnung zwei alte außer Kraft gesetzt werden sollten, sowie um ein "Verfallsdatum" für Regelungen und kürzere Genehmigungsverfahren. Bernhard Kaster schreibt, ihm liege besonders eine Verbesserung in Landwirtschaft und Weinbau am Herzen. "Erst neulich erklärte mir ein Landwirt völlig zu recht, ein Kind zur Welt zu bringen sei mittlerweile mit weniger Bürokratie verbunden als eine Kuh kalben zu lassen."

MARITA SEHN , die die FDP in Berlin vertritt, weist darauf hin, dass ihre Partei im Internet unter www.wirmachenseinfacher.de Anregungen aus der Bevölkerung sammelt, beantwortet und wenn möglich eine entsprechende Initiative in den Bundestag einbringt. So habe die FDP etwa einen Gesetzentwurf für eine Neuregelung der Voranmeldungen zur Umsatzsteuer vorgelegt, schreibt Sehn. "Der Papierstapel, der durch diesen Vorschlag eingespart werden kann, erreicht fast die Höhe des Matterhorns. Geschätzte Einsparung für Unternehmen und Finanzverwaltungen: mindestens eine halbe Milliarde Euro."

Auch auf Landesebene beschäftigt der "Paragraphendschungel" die Politiker. In Rheinland-Pfalz arbeite derzeit eine Enquete-Kommission an der Deregulierung von Normen, die die Kommunen bänden, schreibt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Jochen Hartloff, im Namen der Abgeordneten DIETER BURGARD, MONIKA FINK, MANFRED NINK, GÜNTER RÖSCH und ASTRID SCHMITT . "Gerade in Rheinland-Pfalz beginnen wir aber nicht am Nullpunkt", heißt es. "So konnte die Zahl der Verwaltungsvorschriften in Rheinland-Pfalz seit 1980 von rund 6000 auf rund 600 reduziert werden." Das Loch im Landeshaushalt sei ein zusätzlicher Anstoß, über öffentliche Dienstleistungen und Standards nachzudenken. Auch Landtagspräsident CHRISTOPH GRIMM , ebenfalls Sozialdemokrat, teilt mit, in Rheinland-Pfalz werde der Abbau von Bürokratie bereits jetzt mit Nachdruck vertreten: "Jüngstes Beispiel ist die Reform der Agrarverwaltung." Grimm fordert alle Leser des Trierischen Volksfreunds auf, den Prozess der Entbürokratisierung "konstruktiv zu begleiten." Hartloff kündigt an, die SPD-Abgeordneten würden die Vorschläge der TV -Leser "im Detail überprüfen", weist aber auch darauf hin, dass sich "viele Diskussionen um den Sinn oder Unsinn von Regelungen nicht auf die reine Frage eines Bürokratie-Abbaus reduzieren" ließen. Vielmehr prallten Interessensgegensätze aufeinander: "So dürfte der Präsident der IHK Trier über die Vorschläge einiger Leser, die Zwangsmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern abzuschaffen, nicht begeistert sein."

Auch EDMUND GEISEN von der in Mainz mitregierenden FDP verweist auf den gelungenen Bürokratie-Abbau im Land. Er sieht allerdings noch viel Handlungsbedarf - nicht nur, um die Wirtschaft anzukurbeln: "Bürokratie-Abbau ist zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Souveränität des Bürgers und deshalb Kernbestandteil einer Politik, die den liberalen Rechtsstaat stärken will."

Bei der CDU-Opposition gibt man sich weniger begeistert von der Lage in Rheinland-Pfalz. "Sowohl der Bund als auch das Land müssen sich endlich auf die Regelung eines Rahmens (Standardöffnung) beschränken", schreibt etwa MICHAEL BILLEN . Gemeint ist die Vorgabe eines gesetzlichen Rahmens, den Kreise, Städte und Gemeinden ausgestalten. "Dann tritt automatisch eine Entbürokratisierung ein", glaubt Billen. Seine Fraktionskollegin MATHILDE WEINANDY fordert, Gesetze auf ihre Notwendigkeit und Wirkung hin zu kontrollieren. CDU-Fraktionschef CHRISTOPH BÖHR tritt zwar ebenfalls für weniger Bürokratie ein, erklärt aber auch, nicht die Politik allein sei Schuld am Paragraphendschungel: "Auch von Seiten der Bürger ist in der Vergangenheit ein Anspruchsdenken dahingehend entstanden, dass möglichst jede Lebenssituation umfänglich und abschließend geregelt ist." DIETER SCHMITT , der ankündigt, die Kritik und Änderungsvorschläge der TV -Leser auf den Prüfstand zu stellen, schreibt, die Voraussetzung für "weniger Staat" sei, "dass wir nicht eine überzogene Sicherheit in allen Lebenslagen erwarten, sondern bereit sind, eigenverantwortlich Freiräume zu nutzen". ALEXANDER LICHT sieht das ähnlich: "Wir müssen akzeptieren, dass nicht alles bis ins Kleinste geregelt sein muss. Ich bin dazu bereit, aber zähle ich zur Mehrheit?" Zudem fordert Licht, künftig auch die Ausführungen im Gesetz selbst statt in Verordnungen zu regeln: "Letztere werden den Abgeordneten nicht einmal mehr vorgelegt."

Der Grünen-Landtagsabgeordnete REINER MARZ schließlich fordert zu einer differenzierten Betrachtung auf: Gesetze seien kein Selbstzweck und müssten überprüft werden, schreibt er, aber: "Es lässt sich leicht dahersagen, dass der so genannte Regelungsdschungel gelichtet werden muss - dafür gibt es fast schon eine Beifallsgarantie." Das Problem sei vielschichtig: Auch Marz verweist auf den Wunsch der Menschen nach Gerechtigkeit sowie die Erwartung, das alles geregelt sein müsse. Sein Beispiel: das Nachbarschaftsrecht - "eine Fülle von Vorschriften", wie er erklärt, "nicht im stillen Kämmerlein von Bürokratenmonstern entworfen, sondern unmittelbare Folge tagtäglicher Kleinkriege in unseren Gärten und Hinterhöfen."

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