Ein Netz mit weiten Maschen

BERLIN. Nach den Sozialreformen, die Kanzler Gerhard Schröder und der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber gefordert haben, hat am Donnerstag auch Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt seine Vorstellungen zur Reduzierung der Arbeits- und Sozialkosten zu Protokoll gegeben.

Hundts Maßnahmen gehen weit über die Pläne der Politiker hinaus.Würden die Forderungen der Arbeitgeberverbände Realität werden,müsste sich die Bevölkerung auf drastische Einschnitte imsozialen Netz gefasst machen. Unter anderem verlangte Hundt amDonnerstag vor der Bundespressekonferenz: eine Aussetzung der Rentenanpassung bereits in diesem Jahr (die ohnehin nur 1,04 Prozent im Westen und 1,19 Prozent im Osten betragen soll);

die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre (ab 2010);

eine "spürbare Anhebung" der Abschläge bei vorzeitigen Rentenbeginn;

die Absenkung des Rentenniveaus auf 60 Prozent.

Um die Beiträge zur Krankenversicherung (von jetzt 14,3) auf zwölf Prozent zu drücken, schlagen die Arbeitgeber vor:

ein Zwei-Stufen-System mit Pflichtversicherung für "medizinisch notwendige Kernleistungen" und privater Vorsorge;

die gesetzliche Festlegung des Arbeitgeberanteils auf sechs Prozent;

die "eigenverantwortliche Risikovorsorge" für Zahnersatz, Krankengeld, Privatunfälle sowie die Herausnahme des Sterbe- und Mutterschaftsgeldes aus der Krankenversicherung. Zudem soll die unterste Stufe der Pflegeversicherung schrittweise abgeschafft und ebenfalls der Vorsorge übertragen werden.

Schließlich plädiert die BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände) für:

eine Begrenzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf generell zwölf Monate;

die Abschaffung des Kinderzuschlags und des Unterhaltsgeldes für Teilnehmer von Fortbildungsmaßnahmen;

die Begrenzung der ABM-Stellen auf maximal sechs Monate mit dem Ziel der vollständigen Aufgabe dieser "kontraproduktiven Maßnahmen".

Hund gestand zu, dass sein Reformpaket die Arbeitnehmer mit mindestens 25 Milliarden Euro belasten würde. Das wäre in etwa der Betrag, den sich die Beschäftigten aus der Steuerreform 2004 und 2005 erhoffen dürfen. Gleichwohl meinte der Arbeitgeber-Präsident unverdrossen, seine Vorschläge seien keinesfalls als Kriegserklärung an die Gewerkschaften zu verstehen, sondern "in deren Interesse". Verhaltenes Lob spendete Hundt sowohl Bundeskanzler Schröder als auch CSU-Chef Stoiber, deren Reformpläne in die richtige Richtung wiesen, allerdings "in der Summe" nicht ausreichten.

Mit eigenen Beiträgen zur Krisenbewältigung, etwa mit der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, hielt sich die BDA zurück. Wortreich betonte Hundt zwar, "das Äußerste zu tun", um genügend Plätze zu generieren, doch irgendwelche Zusagen könne man "unter den gegebenen Bedingungen" nicht machen. Auch den Widerspruch zwischen der Forderung nach längerer Lebensarbeitszeit und der Realität der Frühverrentung konnte Hundt nicht auflösen. Er wolle bei seinen Unternehmenskollegen aber dafür werben, bei Neueinstellungen auch Arbeitnehmern jenseits der 50 "eine faire Chance" zu geben.

Unterdessen wurde bekannt, dass die Bundesregierung verstärkt auch die ältere Generation zur Finanzierung der Sozialreformen heranziehen will. Auch Rentner müssten ihren Solidarbeitrag leisten, sagte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering dem "Handelsblatt". Gleichwohl gehe er "fest davon aus", dass die Rentenanpassung in diesem Jahr wie geplant erfolgen werde. Demnach sollen die Rentner also ab 2004 zur Kasse gebeten werden. Näheres dazu soll die Rürup-Kommission vorschlagen, deren Mitglied Klaus Wiesehügel von der IG Bau am Donnerstag mit folgendem Satz zitiert wurde: "Der Grundsatz (geringere Renten) ist längst entschieden".

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