"Ein Vater ist gestorben"

TRIER. Der Trierer Bischof Reinhard Marx kannte Papst Johannes Paul II. persönlich. Über seine Begegnungen, sein Bild des Kirchenoberhaupts und seine Erwartungen an den Nachfolger sprach er mit dem Trierischen Volksfreund.

Was war das Besondere an Papst Johannes Paul II.? Marx: Er war ein authentischer Zeuge des Glaubens, er lebte das, was er sagte. Zwischen seinem Amt und seiner Person gab es keine Differenz. Er überlegte nicht, wem gefalle ich, den Linken, den Rechten, den Konservativen, den Progressiven, den Liberalen, den Europäern. Das war ihm egal. Ihm ging es einzig darum, ob das, was er tut und sagt, der vom Evangelium aufgetragenen Wahrheit entspricht und der Einheit der Kirche dient. Er hat Barrieren zu anderen Religionen überwunden, hat durch seine Vielsprachigkeit und Reisen neue Akzente gesetzt. Welche persönliche Beziehung hatten Sie zu Johannes Paul? Marx: Für mich ist ein Vater, ein Familienangehöriger, gestorben. Ich habe ihn öfter erlebt, in großen Gottesdiensten, aber auch in persönlichen Gesprächen. Drei Mal habe ich mit ihm zu Mittag gegessen. Das war wie zu Hause, ein lockeres, brüderliches Gespräch. Ein zutiefst menschlicher Papst also? Marx: Durchaus. Er hatte Humor, war menschenfreundlich. Ich war immer wieder beeindruckt von seiner Fähigkeit zum Zuhören, von seiner Geduld, Freundlichkeit und seiner Konsequenz. Er war geleitet von der Idee: Was dient den Menschen? Davon war seine Haltung bei Fragen des Lebens wie Abtreibung, Todesstrafe, Krieg und Frieden geprägt. Es ging ihm nicht um die Frage, wie wir es etwas leichter haben können. Er hat immer deutlich gemacht, dass unsere Botschaft anspruchsvoll ist, Einsatz von allen verlangt. Er setzte sich ein für eine stärkere Radikalität des Glaubens. Was war er für ein Mensch? Marx: Papst Johannes Paul II. war ein sehr zugewandter Mensch, ruhig, gefasst. Er war nicht der Mann der Widersprüche, den viele Kritiker in ihm gesehen haben. Manchen war er zu offen, manchen zu konservativ. Er war nicht rigide und streng, sondern konsequent. Das hat eben zu diesen Widersprüchen geführt. Aber das ist bei großen Persönlichkeiten so. Trotz allem hat er großen Zuspruch gehabt, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder politischen Richtungen, wie wir gerade wieder gesehen haben. Als was wird er in die Geschichte eingehen? Marx: Als eine charismatische Person, die viele Menschen beeindruckt hat. Es gibt keinen Menschen in der Weltgeschichte, der so viele Menschen zusammengeführt hat. Millionen haben sich versammelt, um ihm zuzuhören, weil sie gespürt haben, dass hier jemand spricht, der überzeugt war, von dem was er sagt und glaubt. Was erwarten Sie vom Nachfolger? Marx: Die Erwartungen an einen neuen Papst sind immer unendlich hoch. Man denkt, dann fängt man bei Null an. Das ist aber nicht so. Wir brauchen jemanden, der die Einheit der Kirche weiter voran bringt. Das heißt aber nicht automatisch, dass die Kirche zu einer modernistischen Organisation werden muss, die ständig nur Ted-Umfragen macht und sich dann nach den Mehrheiten richten muss. Die Kirche bleibt nicht stehen, sie darf aber ihre Traditionen nicht außer Acht lassen. Der Papst muss diese Einheit zwischen Tradition und Fortschritt darstellen können. Aber es wird keine Kopie von Johannes Paul II. geben. Es werden ja bereits Namen gehandelt für einen Nachfolger. Wird Kardinal Ratzinger neuer Papst? Marx: Das sind alles Spekulationen. Beim Konklave wird es keine Rolle mehr spielen, welche Nationalität, welches Alter, welche Hautfarbe der neue Papst haben soll. Es wird nur darum gehen, eine Person zu finden, die das Amt am besten ausfüllt, die die Katholiken in der Welt zusammenführen kann. Ob das ein Afrikaner oder Europäer ist, spielt keine Rolle. Die Kirche ist eine weltweite Familie, das haben wir doch gerade jetzt wieder gesehen. Daher brauchen wir eben eine Vaterfigur. Also sucht man einen modernen Traditionalisten? Marx: Das sind doch weltliche Kategorien. War Johannes Paul II. ein Konservativer oder doch eher ein Liberaler? Das spielte für ihn gar keine Rolle. Wir brauchen jemanden, der nicht taktisch überlegt oder irgend einem Flügel angehört. Was nützen uns Leute, die bestimmten Richtungen oder Parteiungen zugeneigt sind, die dann Streit bringen, aber die Kirche nicht zusammenführen können? Mit Bischof Reinhard Marx sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

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