Ein halber Sieg und eine halbe Niederlage

Berlin. Nach einer strapziösen Nachtsitzung treten die Kontrahenten vor die Presse, um erschöpft einen Kompromiss zu verkünden, von dem man sich fragt, warum man sich nicht gleich darauf geeinigt hat. Die Hauptakteure: Wirtschaftsminister Clement (SPD) und Umweltminister Trittin (Grüne).

Eine denkwürdige Nachtsitzung im Kanzleramt bringt einen halben Sieger (Clement) und einen halben Verlierer (Trittin) hervor. Das Ergebnis des Streits um die Bedingungen des Emissionshandels in Deutschland: Die Industrie erhält "Verschmutzungsrechte" für 503 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis zum Jahr 2007. Das heißt, sie muss den Ausstoß des Klimakillers bis dahin nur um jährlich eine Million Tonnen verringern, bis zur Zielmarke 2012 um zehn Millionen Tonnen. Dies wird als "Sieg" für Clement gewertet. Nach dieser Logik hätte Trittin glatt verloren, denn er wollte der Industrie eigentlich 25 Millionen Tonnen abverlangen. Doch die Dinge liegen komplizierter: Weil Deutschland sich verpflichtet hat, die Treibhausgase bis 2012 um insgesamt 21 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern, wird es jetzt eng, denn nach dem erzielten Kompromiss "fehlen" noch sieben Millionen Tonnen. Deshalb sollen nach dem Willen der Grünen-Umweltexpertin Michaele Hustedt Verbraucher und Verkehr einen größeren Beitrag zur Reduzierung leisten. Wie das geschehen soll, ist indes völlig unklar. Auf jeden Fall hat Trittin nicht so glatt verloren, wie das auf den ersten Blick scheint. Kollege Clement wollte die Industrie noch weit stärker vor "zusätzlichen Belastungen" schützen, was jedoch von der grünen Minderheit im Kanzleramt (Trittin und Außenminister Joschka Fischer saßen Clement, Kanzler Gerhard Schröder und Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier gegenüber) verhindert werden konnte. Die Ökopaxe schafften das mit dem Hinweis, ihrer grummelnden Basis ein Signal geben zu müssen, mit dem sich die klimapolitische Glaubwürdigkeit der Koalition einigermaßen würde wahren lassen. Die Vernunft ist zweigeteilt. Im Sinne der Umwelt wäre der Trittinsche Ansatz vernünftig gewesen, im Sinne der Wirtschaft und des angestrebten Wachstums ist die nun gefundene Lösung sinnvoll. Denn neben den abstrakten Zahlen sind vor allem die Nebenvereinbarungen spannend: Clement konnte auch weit reichende Zugeständnisse zu Gunsten der Stahl-, Glas- und Zementindustrie und der deutschen Kohlewirtschaft erreichen. Insbesondere dem letzten Punkt wird große politische Bedeutung beigemessen. Denn im Trittin-Entwurf für den "Nationalen Allokationsplan" (Zuteilungssystem für die Verschmutzungs-Zertifikate) wären die (klimafreundlicheren) Gas- und Dampfkraftwerke besser weggekommen als die Kohlendioxid-intensiven Kohlekraftwerke. Sprengkraft für das alte Kohlenrevier Nordrhein-Westfalen, wo der mächtigen Energie-Riese RWE sitzt, wo ein (Kohle-)"Referenzkraftwerk" geplant ist - und wo im Herbst vorentscheidende Kommunalwahlen stattfinden. Die Reaktionen auf den Kompromiss waren erwartungsgemäß: Die Wirtschaft reagiert erleichtert, die Umweltverbände stimmen bittere Klagelieder an. BDI-Präsident Michael Rogowski etwa meinte, die Industrie könne "Herrn Clement sehr dankbar sein". Rot-Grün habe kapituliert, der Emissionshandel sei praktisch "kastriert" worden, hieß es dagegen in diversen Pressemitteilungen der Umweltschutzverbände.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort