"Ein mutiger und anerkannter Mann"

BERLIN. Nach der Ankündigung von Bundespräsident Johannes Rau, nicht mehr für das Amt zu kandidieren, werden die Debatten über einen möglichen Nachfolger geführt. Die Unionsparteien scheinen sich nun auf Wolfgang Schäuble festzulegen.

Die Berliner FDP-Zentrale gab sich gestern zugeknöpft: "Wir kommentieren nichts". Dabei war es längst ein offenes Geheimnis, dass sich Parteichef Guido Westerwelle mit seiner CDU-Amtskollegin Angela Merkel zum vertraulichen Plausch über einen gemeinsamen Kandidaten bei der Wahl des Bundespräsidenten treffen wollte. Geht es nach den führenden Köpfen in den C-Parteien, dann steht der Name auch schon felsenfest: Wolfgang Schäuble. In ungewöhnlicher Eintracht sangen Edmund Stoiber, Christian Wulff und Roland Koch am Wochenende ein Loblied auf den 61-jährigen Ex-CDU-Vorsitzenden. "Er hätte den Mut, dem Land, das vor schwierigen Veränderungen steht, Wege zu weisen", schwärmte der bayerische Ministerpräsident etwas umständlich. "Ein hoch anerkannter und vorzeigbarer Kandidat über die Parteigrenzen der Union hinweg", befand der niedersächsische Regierungschef. Und der Hessen-Premier freute sich einfach nur "sehr darüber", dass jetzt alles auf Schäuble "zuläuft". Die konzertierte Aktion hat zweifellos damit zu tun, dass Edmund Stoiber in einem aktuellen "Spiegel"-Interview noch einmal ausdrücklich seinen Verzicht auf den höchsten Staatsposten bekräftigte ("Das ist das absolut letzte Wort"). Stoibers Kandidatur hätte CDU-Chefin Angela Merkel am besten ins Konzept gepasst. Nicht nur, weil ein männlicher Bundespräsident ihre Chancen auf eine Kanzlerkandidatur erhöht. Sondern auch deshalb, weil Stoiber für eben diese Kanzlerkandidatur aus dem Rennen wäre. Der furiose Sieg bei der Bayern-Wahl hat Stoiber aber offenbar im Gegenteil bestärkt. Vor diesem Hintergrund kommt Wolfgang Schäuble noch am ehesten als Hausherr im Schloss Bellevue in Frage. Bis zur Wahl des neuen Staatsoberhaupts vergehen allerdings noch rund acht Monate. In dieser Zeit kann viel passieren, zumal der Kandidaten-Kandidat nicht unumstritten ist. Das Kräfteverhältnis in der Bundesversammlung tut ein Übriges. Nach dem CSU-Sieg in Bayern konnte die Doppel-Partei acht Sitze hinzu gewinnen. Damit stellen CDU und CSU 538 Stimmen. Die Hürde für die absolute Mehrheit in der Bundesversammlung liegt aber bei 604 Stimmen. Die Union braucht Stimmen der FDP

Eine Wahl Schäubles kann demnach nur gelingen, wenn auch die FDP mit im Boot ist. Die Liberalen stellen 80 Wahlmänner. An Schäubles intellektuellen Fähigkeiten zweifelt niemand. Selbst die politischen Gegner respektieren seine eiserne Disziplin und Willenskraft. Immerhin galt der Baden-Württemberger, der seit einem Attentat im Jahre 1990 vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt ist, schon als "Kronprinz" von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl. Politisch wirken jedoch die Schatten des CDU-Spendenskandals immer noch nach. Wegen einer ungeklärten 100 000-Mark-Spende sah sich Schäuble vor drei Jahren zum Rückzug von den beiden Spitzenposten in Partei und Fraktion veranlasst. In FDP-Kreisen wird befürchtet, dass dieses dunkle Kapitel wieder Schlagzeilen machen könnte. Auch in den eigenen Reihen sind die Vorbehalte unübersehbar. Bei der Wahl zum Fraktionsvorstand am vergangenen Dienstag fuhr Schäuble mit knapp 84 Prozent das dritt- schlechteste Ergebnis ein. Immerhin 26 Abgeordnete votierten gegen ihn. Bliebe es bei der Anzahl, wäre der Rollstuhlfahrer in der Bundesversammlung gescheitert. Auch ein geschlossenes Votum der FDP könnte Schäuble dann nicht mehr retten. Die Kandidatenfrage sorgt bei Merkel und Westerwelle also durchaus für eine Menge Gesprächsstoff. Nach den aktuellen Planungen will sich der FDP-Bundesvorstand auf einer Klausur Anfang Dezember offiziell festlegen. Der Beratungstermin ist mit Bedacht gewählt, denn parallel dazu halten die Christdemokraten ihren Bundesparteitag ab.

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