Ein offenes Ohr und klare Worte

FRANKFURT. "Reden wir über Deutschland." Unter diesem Motto steht die Sommerreise von Bundespräsident Johannes Rau. Vier Tage lang hat er sich auf die Suche gemacht nach dem, was die junge Generation in Deutschland heute ist, was sie ausmacht und bewegt.

Der Weg von der einen in die andere Welt ist für Johannes Rau rund 140 Kilometer lang. So weit liegen die edle Vorstandsetage der Deutschen Bank in Frankfurt am Main und die schlichte Lagerhalle der Jugendwerkstatt Bad Hersfeld ungefähr auseinander. Hoch oben im eindrucksvollen Tower des Finanzunternehmens trifft der Bundespräsident bei seiner viertägigen Sommerreise auf geschniegelte junge Bänker, eine von insgesamt acht Gruppen während der Fahrt. 15 "Hoffnungsträger" der Deutschen Bank mit besten Karriereaussichten. Nachwuchskräfte, die im gut klimatisierten Konferenzraum mit Begriffen wie Vision, Rahmenbedingung, Flexibilität, Mikro-, Makro-Ebene jonglieren, ohne auch nur einmal mit der Wimper zucken zu müssen. Sie haben kaum Sorgen, und wenn doch, sind es die der Unternehmen. Das weiß auch Rau. Ihnen versucht das Staatsoberhaupt deshalb klar zu machen, dass es nicht sein kann, dass "Unternehmen immer größer und erfolgreicher werden, sich gleichzeitig aber zum größten Arbeitsplatzvernichter" entwickelten - "Entlassungsarien", nennt der 72-Jährige dies. Gut zwei Stunden später ist der alte Mann mit dem Spaß am Menschen in der anderen Welt angekommen. Da hockt er auf einem harten Stuhl inmitten von alten Sofas, Waschmaschinen und Schrankwänden; es ist stickig und heiß in der Jugendwerkstatt Bad Hersfeld. Im Rahmen des Projekts "Boje" werden dort 18- bis 25-Jährige über Berufspraktika aus der Perspektivlosigkeit geholt. Jugendliche, die keinen perfekten Scheitel haben, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Politiker reden. Sie erzählen ihm von ihrem Ärger mit den Ämtern, von ihren geringen Chancen. Sie haben hohe Erwartungen an den Staat, während die Altersgenossen am Main ihn am liebsten weitgehend zurückdrängen würden. Für die Jungen und Mädchen in Schlabber-T-Shirts und Plateau-Schuhen sind Politik und Parteien so fern wie der Mars. Darin unterscheiden sie sich allerdings nicht wesentlich von ihren Altersgenossen, mit denen der Präsident auf seiner Reise noch gesprochen hat. Nullbock auf Parteien, oft nur wenig Interesse an Politik hat der Nachwuchs. Und jetzt, jetzt werden sie doch Ernst genommen von der großen Politik. Angst vor der Zukunft und vor Arbeitslosigkeit

Ortswechsel. Weimar. Das ehrwürdige Sophiengymnasium. "Angst", erzählt ein Schüler Rau, hätten sie alle vor der Zukunft und vor Arbeitslosigkeit. Das gilt auch für die Soldaten und Zivildienstleistenden in Leipzig, die nicht wissen, "was danach kommt". Rau ist ein perfekter Zuhörer, das wirkt und beeindruckt. Man muss jedoch auch genau hinhören, weil er immer wieder die Reise nutzt, sich ungewohnt klar zu positionieren. Der Präsident kritisiert die Rentendiskussion, die "falsch" geführt werde. Er bemängelt die "Rechthaberei der Parteien", die nicht immer nach den besten Lösungen suchen würden. Da will sich jemand einmischen - das ist seine ganz persönliche Botschaft.

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