Eine Liga für sich

Brüssel · Die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gilt als der Star der Europapolitik.

 Streitbare EU-Kommissarin für Wettbewerb: Margrethe Vestager. Foto: dpa

Streitbare EU-Kommissarin für Wettbewerb: Margrethe Vestager. Foto: dpa

Foto: Virginia Mayo (AP)

Brüssel Wer in Brüssel einen Termin mit einem Kommissar hat, der wird gewöhnlich erst von dessen Mitarbeitern vorgelassen. Mitglieder des Kabinetts, wie das Büro im Brüsseler Jargon heißt, bedeuten, dass man noch ein wenig zu warten habe. Es sei aber gleich so weit. Sie sind es, die dann den Gast holen und den Zutritt zum Arbeitszimmer gewähren. Bei ihr ist es anders. Margrethe Vestager holt ihre Besucher selbst ab. Die Tür geht auf im Wartezimmer, die dänische Kommissarin steht hochgewachsen in der Tür und bittet zum Interview. Das macht sie so mit allen, die einen Termin bei ihr haben.
Das Arbeitszimmer im zehnten Stock des typisch funktionalen EU-Gebäudes könnte aus einer Zeitschrift für Innenarchitektur stammen. Bunte Farben dominieren. Ganz am Ende ein durchaus überschaubarer Schreibtisch mit Blick aus dem Fenster auf das sich ans Europaquartier anschließende Viertel Matonge, das wegen der vielen Afrikaner nach einem Vorort von Kinshasa benannt ist. An den Wänden und auf einer Staffelei Bilder. Auf einem nicht enden wollenden Sideboard stehen gerahmte Fotos, keine Schnappschüsse von Stationen ihrer Karriere, sondern Privatfotos, ihr Mann, ihre drei Töchter, ihre Freunde.
Die 49-jährige Politikerin, die hier arbeitet, ist eine attraktive Frau, sie trägt ihr graumeliertes Haar als Kurzhaarfrisur, lackiert gelegentlich ihre Fingernägel knallrot, bevorzugt eine ausgefallene Garderobe. Sie ist ein Star. Sie ist der Star der Europapolitik. Aus der Hierarchie der EU-Bürokratie ist das nicht abzuleiten. Sie bekleidet nicht einmal einen von sieben Vizeposten von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Und dennoch: Sie spielt in einer anderen Liga als die anderen im Kollegium der Kommissare.
Zum einen hängt dies mit ihrer Funktion zusammen. Sie ist Wettbewerbskommissarin. Sie ist die Hüterin darüber, dass es im Binnenmarkt der EU-weit 500 Millionen Verbraucher fair zugeht. Damit wacht sie über das wichtigste Pfund der EU. Qua Amt hat sie sich anzulegen mit den Chefs der mächtigsten Konzerne. Sie wird tätig, wenn die großen Spieler am Markt Kartelle bilden und die Verbraucher unter die Räder kommen. Etwa als sie eine Rekordstrafe gegen das berüchtigte Lastwagenkartell verhängte, an dem auch Daimler beteiligt war. Richtig berühmt wurde sie aber, weil sie die Giganten des Internetzeitalters angreift, den Internet-Plattformen den Missbrauch ihrer Marktmacht nachweist und sie zu Rekordstrafen verdonnert. Erst vorige Woche fiel die Entscheidung im Fall Google. Der Konzern muss jetzt 2 24 495 000 Euro zahlen, weil er seine marktbeherrschende Stellung bei der Produktsuche gnadenlos ausnutzte, um Wettbewerber fernzuhalten. Und sie wird tätig, wenn EU-Staaten mit Konzernen kungeln, ihnen milliardenschwere Steuerprivilegien zuschanzen und dabei im Gegenzug auf die Ansiedelung von Jobs hoffen. Weil Vestagers Beamten der irischen Regierung diese unerlaubten Staatsbeihilfen nachweisen konnten, muss Apple nun 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen.
Der Dänin, die seit 20 Jahren in der Politik ist, fällt damit als oberste Wettbewerbshüterin in der EU Macht zu, über die Nationalstaaten nicht verfügen. Doch man muss die Macht auch zu nutzen wissen. Vestager hat sich schnell den Ruf erworben, ein "tough cookie" zu sein, wie der Economist schrieb, was so viel bedeutet wie "harter Hund". So scheute sie auch nicht davor zurück, gegen die Steuerdeals von Luxemburg mit Ikea, Fiat und anderen Großkonzernen vorzugehen. Sie hat da keine Berührungsängste, und das obwohl die Steuerabsprachen im Großherzogtum in der Regierungszeit ihres jetzigen Chefs Juncker getroffen wurden. Freilich passt Vestagers Feldzug für Steuergerechtigkeit inzwischen auch Juncker ins Konzept: Er hat die Seiten gewechselt, als Kommissionschef hat er sich früh entschieden, gegen Steuervermeidungspraktiken von Konzernen vorzugehen.
Vestagers Erfolg ist aber auch damit zu erklären, dass sie einen besonderen Stil pflegt. Sie ist menschlich offen, gibt im Gespräch auch Privates von sich preis. So erzählte sie beim Interview im vorigen Sommer, dass sie mit Freunden für den 50. Geburtstag ihres Mannes ein Häuschen in Italien gemietet habe, dass eine ihrer drei Töchter gerade zum Deutschlernen in Berlin war. Eine junge Mitarbeiterin, die vorher als Anwältin in London mehr Geld verdient hat und wegen ihrer Freunde eigentlich viel lieber in Berlin leben würde, bekennt, dass sie nur wegen Vestagers angenehmen Führungs- und Politikstils noch in Brüssel bleibe.
Durchaus ungewöhnlich auch, wie Vestager mit Interviews umgeht. Anders als etwa deutsche Politiker besteht sie nicht darauf, ihre Interview-Äußerungen vorher noch verändern zu können, bevor sie in den Druck gehen. Sie vertraut, dass die Journalisten ihren Job schon richtig machen. Sie will nicht ein Interview vorab noch einmal sehen. Die Offenheit der Politikerin, die - wie es sich für eine Kopenhagenerin gehört - mit dem Fahrrad zu ihrer eigenen Vereidigung als Ministerin fuhr, ist Programm. "Als ich jung war", sagte sie in einem Interview, "dachte ich, dass man Politik mit Ideen macht." Heute wisse sie, dass es ohne die Menschen nicht geht.
Bevor sie in Brüssel ein Star wurde, war sie einer in der nationalen dänischen Politik. Sie war unter 30, als sie das erste Mal Ministerin und damit die jüngste Ressortchefin des Landes aller Zeiten wurde. Sie, die in einem Pfarrershaushalt aufwuchs, war Religionsministerin, zuletzt war sie Wirtschaftsministerin und stellvertretende Regierungschefin. In Dänemark hatte sie damit alles erreicht, was möglich war. Immer wieder wird sie in Brüssel als Kandidatin für höhere Jobs gehandelt - zum Beispiel auch als spätere Präsidentin der EU-Kommission.

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