Eine Memory-Box zur Erinnerung

MILTON/TRIER. Sechs Wochen lang arbeitete die Trierer Studentin Alexandra Nest in einem englischen Kinderhospiz. Dort betreute sie vor allem die Geschwister der sterbenden Kleinen.

Ein schmuckes Landhaus im englischen Milton, nur wenige Kilometer von Cambridge entfernt: Helle und freundliche Räume, darin Spielzeug an allen Ecken und Enden. Kinder tollen herum, Erwachsene lachen; "die Stimmung ist einfach fröhlich", sagt Alexandra Nest. "Es herrscht dort eine ganz andere Atmosphäre als man sie vielleicht erwartet." In der Tat scheinen die Beschreibungen der Trierer Psychologiestudentin so gar nicht zu jenem Ort zu passen, an dem sie im Sommer ein Praktikum absolvierte: in einem Kinderhospiz der East Anglia Children's Hospices, kurz EACH.Sterbende Kinder und deren Familien unterstützen - sechs Wochen lang widmete sich Alexandra Nest dieser Aufgabe. Nicht in Deutschland, wo es nur vereinzelt Kinderhospize gibt, sondern in England. Seit Jahren schon verfügt die Insel über ein flächendeckendes Netz aus derartigen Einrichtungen.

Professionelles Fundraising ermöglicht Hospizarbeit

Über das, was ein Kinderhospiz leisten kann, glaubte die 27-Jährige sich schon im Vorfeld ihres Praktikums im Klaren zu sein: "Im Grunde genommen kann dort nur dafür gesorgt werden, dass die schlimme Situation für die Betroffenen nicht noch unerträglicher wird." Das klingt bescheidener als es ist.

Wie umfassend die Arbeit von Kinderhospizhelfern tatsächlich ist, erlebte die Triererin in und um Milton. Bis zu sieben unheilbar kranke Kinder sind dort im EACH untergebracht. Oft leben auch deren Eltern und Geschwister, mitunter sogar die Großeltern eine Zeit lang im Kinderhospiz. "Die Familien dürfen dort kostenlos wohnen", weiß Alexandra Nest. Entsprechende Räume stehen zur Verfügung. Auch die personelle Situation sei optimal: Auf jeden kleinen Patienten komme eine Pflegekraft, die sich intensiv um den Schützling kümmern könne. Ein pflegerisches Angebot, wie es in einer Klinik hierzulande utopisch wäre.

Die meiste Zeit ihres Praktikums verbrachte Alexandra Nest nicht mit den kranken Kindern selbst, sondern mit deren Geschwistern. Die Vorbereitung auf das Sterben der Schwester oder des Bruders zählt ebenso zur Arbeit der englischen Kinderhospize wie die Begleitung nach deren Tod. Gemeinsam mit einer Psychologin besuchte Alexandra Nest die Geschwister meist Zuhause, manche wöchentlich, andere nur einmal im Monat.

Doch wie hilft man einem Kind, mit dem bevorstehenden Verlust umzugehen oder den Tod des Bruders oder der Schwester zu verkraften? "Indem man mit ihnen Memory-Boxes bastelt", nennt Alexandra Nest eine von vielen Möglichkeiten. Dabei gestalten die Kinder ihre ganz eigenen Erinnerungsboxen, in die sie persönliche Andenken an ihre sterbenden Geschwister legen: ein Foto etwa, Kassetten oder auch das letzte Geburtstagsgeschenk.

Während ihres Praktikums hat die Triererin erlebt, dass ein "möglichst offener Umgang" mit der Situation den Geschwistern am meisten hilft. Sie abzuschirmen sei hingegen kontraproduktiv. Stattdessen müsse ihnen frei gestellt sein, wie sie in der Situation ihrem unheilbar kranken Bruder oder der sterbenden Schwester helfen wollen.

Ein Gefühl, das sich in derartigen Krisensituationen fast zwangsläufig einstellt, ist die Eifersucht der gesunden Kleinen auf das kranke Geschwisterchen. Nur zu verständlich, gilt den Patienten doch oft die ganze Aufmerksamkeit der Eltern. Auch hier leisten die Kinderhospizhelferinnen einiges an Unterstützung, indem sie die Mütter und Väter entlasten.

Alexandra, die derzeit ein Praktikum in der Villa Kunterbunt absolviert und bereits im Evangelischen Krankenhaus in Trier arbeitete, weiß die Verhältnisse in England zu schätzen. Dass dort eine derart aufwändige Kinderhospizarbeit möglich ist, ist auch das Verdienst professionellen Fundraisings; im Auftrag wohltätiger Organisationen treiben geschulte Spendensammler kräftig Geld ein.

Alexandra Nest hat während ihres Praktikums viele Briefe geschrieben und oft nach Hause telefoniert. Wohl auch, um die vielfältigen Eindrücke zu verarbeiten. Gelassener sei sie in dieser Zeit geworden, sagt die Studentin von sich selbst. Gewisse Dinge, die sie zuvor eher für selbstverständlich hielt, wisse sie nun mehr zu schätzen. Doch so angetan sie von den Erfahrungen in England auch ist, "ob ich das auf Dauer machen könnte, darüber bin ich mir noch nicht im Klaren."

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