Einsame Spitze – einsam an der Spitze

TRIER. Einsame Spitze – aber auch einsam an der Spitze – sind Frauen, die es in Unternehmen oder Politik bis zur Chefetage gebracht haben. Dass sie mit ihrer eigenen Art der Führung und des Verhältnisses zur Macht mindestens so erfolgreich sind wie ihre männlichen Kollegen, beweist Caritas-Direktorin Birgit Kugel seit 16 Jahren.

Inzwischen wagt keiner mehr zu behaupten, Birgit Kugel sei ihren Aufgaben nicht gewachsen. Doch als sie vor knapp 16 Jahren das Amt der Direktorin des Diözesan-Caritas-Verbands Trier, einer rechtlich selbstständigen Abteilung des Bischöflichen Generalvikariats, übernahm, war sie gerade 29 Jahre alt - und damit eine Ausnahme-Erscheinung. Neben einer älteren, allein stehenden Kollegin war sie die einzige Frau unter 27 Caritas-Direktoren in Deutschland. "Das war weder üblich noch normal", sagt sie und verweist auf die Bemühungen des damaligen Bischofs Hermann Josef Spital, Frauen für Führungsaufgaben zu gewinnen. Die Kriterien Frau, jung, verheiratet und mit Kind gelten auch heute noch für viele Chefs als K.o.-Kriterien für die Besetzung eines Spitzenpostens. Doch Birgit Kugel setzte sich durch - nicht nur per Qualifikation als promovierte Betriebswirtschaftlerin in einem Auswahlverfahren. Das ist lange her. Mit ihrer Art, Mitarbeiter und ihre verschiedenen Meinungen in die Diskussion einzubringen, hat sie sich längst Respekt und Anerkennung verdient. Und sie selbst geht darin auf, Sichtweisen zusammenzuführen und einen Ausgleich zu schaffen. "Es hat gedauert, mit allen warm zu werden. Ich denke von mir, einschätzbar zu sein. Meiner Überzeugung nach hat niemand schon allein aufgrund seiner Funktion Recht." Wichtige Aussagen, denn schließlich wirken sich die Entscheidungen der 45-Jährigen direkt und indirekt auf gut 4000 Beschäftigte im Diözesan-Caritasverband und in den Regionalverbänden des Bistums Trier aus - in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Behindertenwerkstätten, Frauenhäusern, Sozialstationen und Beratungsstellen. "Ich bin froh, an so verantwortlicher Stelle etwas bewirken zu können. Das gibt jeden Tag Kraft", sagt sie. Eine Verantwortung, die sich bislang nicht viele Frauen zutrauen. "So scheinen etwa bei der Besetzung von Geschäftsführerstellen wenig Frauen bereit zu sein, sich auf diese Position und ihre Aufgabe einzulassen", sagt die Caritas-Direktorin. Wenn dem so sei, wäre auch eine festgelegte Frauenquote für Management-Positionen der falsche Ansatz, ist Birgit Kugel überzeugt. Nichtsdestotrotz kann sie Frauen in dieser Lage gut verstehen. Als Frau - und wie sie zweifache Mutter - müsse sie den Rücken frei haben. "Ohne die Unterstützung meines Mannes wäre das nicht gegangen", sagt Birgit Kugel. Viele Außentermine, teils mit Übernachtung, viele Meetings, viele Entscheidungen: Da bleiben typische Kinderbetreuungsaufgaben wie das Abholen aus Kita und Kindergarten und der Gang zum Kinderarzt auf der Strecke. "Wenn mein Mann diese Familien-Rolle nicht angenommen hätte, hätte auch ich meine Aufgabe nicht erfüllen können. Ich weiß einfach, bei ihm ist alles in guten Händen." Da bleibt in der Freizeit nicht viel Spielraum, der Ablauf in der Familie ist straff organisiert. Dennoch lässt sich Birgit Kugel Frühstück und Abendessen mit der Familie nicht nehmen. "Ich möchte am Anfang und Ende des Tages gewisse Dinge mitbekommen", sagt sie. Sie ist dankbar und zufrieden, nie vor der Entscheidung gestanden zu haben, sich für das eine oder gegen das andere aussprechen zu müssen. "Da wäre für mich Karriere anstatt Familie mit Kindern nicht denkbar gewesen." Ihre Botschaft: Alles, was dazu diene, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, sei notwendig. Da seien beide Eltern, aber auch Staat und Gesellschaft, gefordert: "Frauen müssen sich mehr zutrauen, Verantwortung zu übernehmen, und Männer sich darauf einlassen, dass Engagement in der Familie normal ist."

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