Eintrittsgeld beim Arzt kann Gesundheitskosten kaum steuern

BERLIN. Am Sinn der Praxisgebühr scheiden sich immer noch die Geister. Das Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI kam jetzt zu dem Schluss, dass der Eintrittspreis für den Arztbesuch in Höhe von zehn Euro pro Quartal den Kostenanstieg im Gesundheitswesen nicht bremsen konnte.

Kein anderer Einschnitt durch die jüngste Gesundheitsreform vor zwei Jahren hat die Gemüter so erregt wie die Praxisgebühr. Während Patienten lauthals über die Mehrbelastung schimpften, klagten Ärzte über den zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Mittlerweile hat sich der große Sturm gelegt. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist allerdings die Zahl der Praxisbesuche seit Januar 2004 um 13 Prozent gesunken. KBV-Sprecher Roland Stahl sieht darin nicht unbedingt einen Widerspruch: "Die Leute, die wirklich krank sind, gehen auch weiter zum Arzt". Eine Reduzierung unnötiger Praxisbesuche führe daher noch nicht automatisch zu nennenswerten Einsparungen. So verursachten Patienten, die einen Mediziner nach dem anderen aufsuchten ("Ärzte-Hopping"), nur vergleichsweise geringe Behandlungskosten. Genau dieser Personenkreis sollte jedoch durch die Praxisgebühr "diszipliniert" werden. Zugleich versprachen sich ihre politischen Befürworter eine Linderung der notorischen Finanznot im Gesundheitswesen. Auch dieses Kalkül ist aufgegangen. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums spielt die Praxisgebühr jährlich etwa zwei Milliarden Euro ein. Sie ist Teil des ärztlichen Honorars. Dass die Gesundheitsausgaben trotzdem durchschnittlich um 2,6 Prozent pro Jahr steigen, hat nach Einschätzung des AOK-Bundesverbands mit anderen Faktoren zu tun: So bleibe etwa der Trend zur Verschreibung teuerer Medikamente von der Praxisgebühr unberührt. "Ihr Steuerungseffekt sollte also nicht überbewertet werden", so die AOK. Vermutlich wäre die Wirkung trotzdem größer, gäbe es in der seit 2004 geltenden Gesundheitsreform nicht eine Bestimmung, mit der sich die Praxisgebühr vermeiden lässt.Hausarztmodell mindert die Wirkung

Demnach soll möglichst jede Krankenkasse ein Hausarztmodell anbieten, um teuere Besuche beim Fachmediziner zu vermeiden. Wer immer zuerst den Hausarzt aufsucht, dem winkt eine Belohnung in Form geringerer Zuzahlungen. Viele Kassen erlassen dem Versicherten deshalb die Praxisgebühr. Der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller kritisiert diesen Zustand. "Die Praxisgebühr hat sich bewährt, weil sie zu weniger Arztbesuchen und damit zu weniger medizinischen Verordnungen führt", sagte Zöller unserer Zeitung. Um ihre Funktion auch künftig zu gewährleisten, sei eine Überprüfung der Bonus-Regeln erforderlich. "Im Bedarfsfall müssen die Bonus-Programme so umgestaltet werden, dass die Praxisgebühr auf jeden Fall zu zahlen ist". Den Vorschlag des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI, eine geringere Gebühr auf jeden Arztbesuch zu erheben, lehnte Zöller mit Hinweis auf die geltende Bestimmung ab, wonach die Summe aller Zuzahlungen zwei Prozent des Jahreseinkommens nicht übersteigen darf. "Viele Kranke würden dann schneller unter diese Überforderungsklausel fallen und von der Zuzahlung befreit. Das bringt keinen höheren Steuerungseffekt", resümierte Zöller. Auch bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hält man nichts von der Idee. Grund: Allein 2004 hatten die niedergelassenen Ärzte statistisch gesehen 8,3 Millionen Arbeitsstunden mit der Verwaltung der Praxisgebühr verbracht. Würde sie bei jedem Arztbesuch fällig, dürfte sich der bürokratische Aufwand deutlich erhöhen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort