"Eltern müssen auf den Putz hauen"

TRIER. Was läuft schief in der deutschen Familienpolitik? Darüber sprach der Trierische Volksfreund mit dem Bielefelder Familienforscher Klaus Hurrelmann.

Die Bundesregierung ist vor einem Jahr angetreten mit dem Versprechen, mehr für Familien zu tun. Hat sie dieses Versprechen erfüllt? Hurrelmann: Sie hat zumindest das Kindergeld spürbar erhöht. Trotzdem führt dieser sehr sinnvolle und notwendige finanzielle Ausgleich der Kosten, die Kinder verursachen, nicht dazu, dass Paare, die Kinder bekommen könnten, sich leichter für Nachwuchs entscheiden. Wie kann denn ein solcher Anreiz geschaffen werden? Hurrelmann: Der finanzielle Aspekt ist nur ein Faktor. Mindestens genauso wichtig ist es, Frauen, also den potentiellen Müttern, eine berufliche Perspektive und damit eine eigenen Gelderwerbsquelle und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung mit Kindern zu garantieren. Wir brauchen eine wirklich funktionierende Kinderbetreuung, so dass vor allem Frauen Erziehung und Beruf miteinander vereinbaren können. Das dürfte dann - die Beispiele etwa aus Frankreich und Schweden zeigen es - auch tatsächlich Auswirkungen haben auf die Bereitschaft, Kinder zu kriegen. Aber wo soll das Geld dafür denn her kommen? Hurrelmann: Wir brauchen intelligente Modelle. Wenn etwa Unternehmen gute, weibliche Arbeitskräfte halten wollen, müssen sie zum Beispiel Betriebskindergärten einrichten. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn Eltern auch einen Teil der Kosten mittragen. Aber Betriebe und öffentliche Hand müssen gemeinsam für solche Angebote sorgen. Auch die Kinderbetreuung muss flexibler werden, Stichwort: Ganztagsschulen. Es muss auch darüber nachgedacht werden, für die Betreuung noch mehr billige Arbeitskräfte wie etwa Mini-Jobs zuzulassen, um die Kosten zu senken. Das sind alles keine neue Forderungen. Geändert hat sich bislang jedoch wenig in der Familienpolitik in Deutschland. Hurrelmann: In der Tat: Wir haben einen himmelschreienden Modernitäts-Rückstand in der Familienpolitik. Es fehlt der Druck der Mütter. Die Politik reagiert am ehesten auf Unruhe und Verärgerung. Die scheint mir noch nicht groß genug zu sein. Die Mütter haben sich immer irgendwie arrangiert. Mit Schwarzarbeit, Oma und Opa oder Nachbarschaftshilfe ist die Kinderbetreuung zu Hause aufgebaut worden. Wir brauchen Eltern, die sich organisieren, ihre Rechte einfordern und endlich auf den Putz hauen. Ist Deutschland kinderfeindlich?Hurrelmann: Nein, keinesfalls. Beim Lastenausgleich für Familien liegen wir im internationalen Vergleich sehr weit vorne. Aber wie gesagt, es fehlt ein echter Anreiz, Kinder zu bekommen. Man sollte deshalb die Form der Auszahlung des Kindergelds zur Diskussion stellen. Der Betrag sollte für die Zeit, in der die Kinder noch klein sind, also für zwei Jahre, erhöht werden auf vielleicht 500 Euro und danach wieder zurückgefahren werden. Man könnte auch darüber nachdenken, bei der Geburt 2000 Euro auf einmal auszuzahlen, mit 18 Jahren wäre dann Schluss mit Kindergeld. Welche Rolle spielt Geld bei der Erziehung? Hurrelmann: Wer drei und mehr Kinder hat, ist häufig von der Sozialhilfe abhängig, ähnlich sieht es auch bei Alleinerziehenden oder Einwanderer-Familien aus. Kinder kosten Geld. Das wissen Eltern genau. Die sind auch bereit, Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Sie haben ja den Gewinn, dass sie Kinder haben. Aber für diesen Gewinn darf man nicht noch bestraft werden. Also: Kinderlose stärker zur Kasse bitten, um die leeren Sozialkassen aufzufüllen?Hurrelmann: Kinderlose dürfen nicht bestraft werden. Es müssen umgekehrt Anreize für Familien geschaffen werden. Wer ein Kind hat, muss davon Vorteile haben. Natürlich ist das eine Art von Benachteiligung für Paare ohne Kinder. Aber ich halte den Vorschlag der CDU, die Erziehungszeiten der Mütter auf die Rente anzurechnen, für den richtigen Weg. Leider werden Kinder in der Öffentlichkeit immer noch häufig als störend empfunden. Jeder zuckt doch zusammen, wenn im Zug fünf Kinder auf einmal einsteigen. Haben die heutigen Jugendlichen Lust, später eine Familie zu gründen?Hurrelmann: Der Trend zur Individualisierung ist ungebrochen. Die Jungen möchten selbständig sein, ihr Leben selbst gestalten. Trotzdem ist der Wunsch sehr hoch, eine Familie zu gründen. Wir dürfen die jungen Leute in der Entscheidung für eine Familie nicht allein lassen. Sie müssen wissen: Wir wollen Euch als Arbeitskräfte und auch als Familiengründer. Dafür schaffen wir Anreize und Angebote. Welche Zukunft hat Familie in Deutschland?Hurrelmann: Vater, Mutter und zwei Kinder wird weiter das Ideal bleiben - auch für die junge Generation. Aber es muss attraktiv sein, Spaß machen und das Lebensgefühl treffen, eine Familie zu gründen. Wenn wir das nicht schaffen, wird die nächste Generation den Weg in die Familie wenn auch schweren Herzens nicht antreten. Das Interview führte TV-Redakteur Bernd Wientjes.

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