Endspurt mit Glücksbändchen

BERLIN. Auf ihrem Berliner Parteitag eine Woche vor der Bundestagswahl hat sich die FDP eindeutig für eine Koalition mit CDU/CSU ausgesprochen. Die Liberalen wollen in der Schlussphase des Wahlkampfes mit einer Zweitstimmenkampagne eine Große Koalition verhindern.

An einer der Rolltreppen, die im futuristischen Berliner ICC zum Kongresssaal führen, halten zwei Liberale für die rund 600 Delegierten eine kleine Besonderheit bereit: "Hier, nehmen Sie zwei", schmunzelt die eine, "eines in blau, das andere in gelb". "Freiheit und Verantwortung" steht auf den Gummi-Ringen. "Das sind Glücksbändchen, die können sie sich ums Handgelenk tun", lacht die Dame von der FDP. Glücksbändchen. Angeblich besitzen sie ja geheime Kräfte - gegen Lebenskrisen, ebenso gegen Melancholie oder Mattheit.

Letzteres hat derzeit anscheinend auch die FDP befallen. Es bewegt sich in den Umfragen nichts wirklich aufwärts. Und es drohen womöglich wieder vier Jahre Opposition, wenn Schwarz-Gelb insgesamt weiter schwächelt. Glück, neuen Schwung hat die FDP also bitter nötig im Schlussspurt bis zur Bundestagswahl am kommenden Sonntag. Guido Westerwelle hat gerade oben auf dem blau-gelben Podium Platz genommen, schon zieht sich der Mann das Jackett aus. "Steuern runter, Arbeit rauf", prangt hinter ihm in großen Buchstaben. Als er gegen 14 Uhr seine einstündige Rede beginnt, krempelt sich der ehrgeizige Rheinländer demonstrativ die Ärmel seines blütenweißen Hemdes hoch. Westerwelle will es wissen. Seine politische Zukunft hängt schließlich auch vom Ausgang der Bundestagswahl ab. Es gilt also, beim außerordentlichen Bundesparteitag die Delegierten in der Halle zu begeistern.

Aber der Oberliberale muss vor allem auch nach außen endlich deutlicher machen, wie sich die FDP den Neuanfang nach sieben Jahren Rot-Grün vorstellt. Denn wahrgenommen werden die Liberalen derzeit kaum, sie stehen vielmehr weitgehend in der Abseitsfalle. Als letzte Partei veranstaltet die FDP ihren Sonderparteitag sieben Tage vor dem Urnengang. Dahinter verbirgt sich auch Kalkül: Viele Wähler entscheiden sich erst in der letzten Woche. Ihnen will sich die FDP nun mächtig ins Gedächtnis rufen. Darüber hinaus hofft man, dass auf den letzten Metern die Personalisierung des Wahlkampfes Schröder gegen Merkel und Kirchhof abebbt. Rhetorisch einwandfrei, scharfzüngig attackierend, bläst Westerwelle also zum Angriff auf die Bundesregierung, "diese rot-grünen Pleitegeier". Er gibt seiner Partei gleich zu Beginn ein (ungewohnt) soziales Antlitz, spricht von einer FDP, die die Armut beseitigen will: "Sozial ist, was Arbeit schafft." Der Oberliberale verkündet zudem sein Steuergeschenk: "Die FDP wird nur in eine Bundesregierung eintreten, wenn eine echte Nettoentlastung für die Bürger und Familien erfolgt", verspricht er. Eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen lehnt er allerdings kategorisch ab - "Schwarz-Gelb ist die einzige Koalition, die den Politikwechsel für einen wirklichen neuen Anfang ermöglicht", wendet er sich beschwörend mehr an die Fernsehzuschauer als an die Delegierten.

"Deutschland, jetzt musst du dich entscheiden", ruft Westerwelle eindringlich. Seine letzte Botschaft ist ein personelle: Was Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel darf, darf auch der Parteivorsitzende der FDP - ein so genanntes Kompetenzteam benennen. Rainer Brüderle soll für Wirtschaft, Hermann Otto Solms für Finanzen, Dirk Niebel für Arbeit, Cornelia Pieper für Bildung, Birgit Homburger für Umwelt und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für Rechtspolitik zuständig sein. Bei einem schwarz-gelben Wahlsieg wollen die Liberalen drei Minister stellen. Als Außenminister ruft Westerwelle Fraktionschef Wolfgang Gerhardt aus. Er wird stürmisch gefeiert und hat zuvor schon seine außenpolitische Bewerbungsrede gehalten. Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel, die letzten Außenminister der Freien Demokraten, gratulieren dem stolzen Gerhardt und klopfen ihm auf die Schulter. Beide waren aber unter CDU-Kanzler Helmut Kohl auch Vizekanzler. Dazu schweigt der ambitionierte Westerwelle jedoch lieber.

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