"Energiekonzerne müssen umdenken"

BERLIN. Die hohen Ölpreise haben eine Debatte überalternative Energieträger ausgelöst. Während die Opposition wieder die Atomkraft ins Spiel bringt, hat eine internationale Konferenz in Bonn die erneuerbarenEnergien in den Mittelpunkt gerückt. Darüber sprach der TV mit dem für Umweltfragen zuständigen SPD-FraktionsvizeMichael Müller.

Herr Müller, muss die Bundesregierung ihren Atomausstiegsbeschluss aus dem Jahr 2001 überdenken? Müller: Nein. Ganz im Gegenteil. Die Atomkraft steht für ein Energiesystem, das auf einen extensiven Verbrauch ausgerichtet ist. Es gibt weltweit kein einziges Szenario, in dem die beiden zentralen Zukunftsprobleme der Energiepolitik, nämlich Umweltschutz und Berücksichtigung der knappen Ressourcen, mit Hilfe der Atomenergie lösbar sind. An diesem Energieträger herrscht aber zumindest kein Mangel. Müller: Falsch. Die Ressourcen für die Nutzung von Uran sind bei verstärkter Verwendung weltweit sogar begrenzter als die für Gas und Öl. Außerdem muss man bedenken, dass sich die Atomenergie nur bei hohem Energieverbrauch rechnet. Die internationale Konferenz für Erneuerbare Energien in Bonn hat aber gerade wieder gezeigt, dass Alternativen wie Windkraft oder Erdwärme nur ein Schattendasein fristen. Eine größere Unabhängigkeit vom Öl ist dadurch wohl kaum möglich. Müller: Die zentrale Herausforderung ist das Bündnis von erneuerbaren Energien und mehr Effizienz. Letzteres kam mir bei der Bonner Konferenz etwas zu kurz. Mit den technologischen Möglichkeiten, die wir schon heute besitzen, lässt sich der Energieverbrauch um bis zu 40 Prozent reduzieren. Dadurch bekämen wir auch viel mehr Zeit zur Umstellung unseres Energie-Systems. Das jetzige System ist praktisch ausgereizt. Es funktioniert auf der Basis großer ungenutzter Überkapazitäten. Was heißt das in Zahlen? Müller: In der Bundesrepublik haben wir beim Strom etwa 100 000 Megawatt Kapazität, aber in der Spitze, etwa im Januar, werden nur bis zu 70 000 Megawatt genutzt. Wenn es uns gelänge, Speichertechnologien zu entwickeln, dann brauchten wir vielleicht nur eine Ausrichtung auf 50 000 Megawatt. Ist ein geringerer Energieverbrauch langfristig überhaupt realistisch? Die Ölpreise sind doch auch deshalb so hoch, weil in China die Wirtschaft boomt, also der Verbrauch steigt. Müller: Das muss kein Widerspruch sein. In China arbeiten die Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 18 bis 20 Prozent. Technologisch sind aber 60 bis 70 Prozent möglich. Das entscheidende Problem ist, dass unser herkömmliches Energiesystem die Verschwendung fördert und nicht die Vermeidung in den Mittelpunkt stellt. Um so mehr muss Deutschland, am besten ganz Europa, auf die Kombination von Effizienz und erneuerbaren Energien setzen. Das wird sich weltweitauszahlen. Zumindest die Windkraft stößt bereits an ihre Grenzen. Gegen die massenhafte Aufstellung von Windrädern regt sich massiver Widerstand. Müller: Deshalb habe ich auf die Notwendigkeit von Speichertechnologien hingewiesen, die auch der Windkraft zugute kämen. Da wird immer noch zu wenig getan. Allerdings will ich drauf hinweisen, dass die hohen Kraftwerksleitungen, von denen wir in Deutschland sehr viel mehr haben, auch nicht gerade ein schöner Anblick in der Landschaft sind. Im übrigen lassen sich die erneuerbaren Energien nicht auf Windkraft reduzieren. Wir haben riesige Möglichkeiten bei der Solartechnik, der Biomasse und der Erdwärme. Hier steckt dieForschung noch in den Kinderschuhen. Optimisten sagen, schon wegen der Teilnahme von über 150 Staaten sei die Bonner Klima-Konferenz ein Erfolg. Umweltverbände bemängeln dagegen ihre wenig konkreten Ergebnisse. Wie sehen Sie das? Müller: Ich finde, es ist eine Dynamik in Gang gekommen. Mit der Bonner Konferenz wurde eine Debatte beflügelt, was man der Einfallslosigkeit des alten Energie-Systems entgegen setzen kann. Die entscheidende Frage ist allerdings, ob sich die großen Energiekonzerne der Welt auf diesen Strategiewechsel einlassen. Bisher tun sie das völlig unzureichend. S Mit Michael Müller sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

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