"Er ist der geborene Handwerker"

Trier · Die Geschichte von Aziz Amiri ist ein Musterbeispiel von Integration. Eine Gesetzeslücke bringt diese allerdings in Gefahr.

 Aziz Amiri ist ein begeisterter Schreinerlehrling. Sein Chef, Peter Böhm, schwärmt von dem jungen Flüchtling aus Afghanistan in den höchsten Tönen. Er würde ihn später gerne als Gesellen übernehmen. Ob es so weit kommt, wird sich zeigen müssen. TV-Foto: Alexander Schumitz

Aziz Amiri ist ein begeisterter Schreinerlehrling. Sein Chef, Peter Böhm, schwärmt von dem jungen Flüchtling aus Afghanistan in den höchsten Tönen. Er würde ihn später gerne als Gesellen übernehmen. Ob es so weit kommt, wird sich zeigen müssen. TV-Foto: Alexander Schumitz

Foto: (g_pol3 )

Trier Aziz Amiri hat mehr Glück als viele andere junge Flüchtlinge. Der junge Mann mit afghanischen Wurzeln gilt in der Schreinerei Inform in Saarburg, in der er seit August 2016 arbeitet, als Musterlehrling. "Er ist der geborene Handwerker", sagt sein Chef Peter Böhm. Schon jetzt ist der Flüchtling für den Schreinermeister ein idealer Kandidat für eine Weiterbeschäftigung nach Abschluss der Gesellenprüfung. "Er ist genau das, was wir von deutschen Jugendlichen nicht bekommen", sagt er und schwärmt davon, wie konzentriert und selbstständig Aziz Amiri arbeitet.

Unter normalen Umständen hätte der junge Afghane allerdings keine Chance, seine Ausbildung zu Ende zu bringen. Denn eine Gesetzeslücke stürzt ihn ebenso wie viele andere Flüchtlinge in Ausbildung, über deren Asylantrag noch nicht abschließend entschieden ist, in ein finanzielles Desaster. Azubis und Studierende aus vermeintlich sicheren Staaten haben nach aktueller Gesetzeslage keinen Anspruch auf staatliche Leistung wie Ausbildungsbeihilfe oder Sozialhilfe. Das hat das Integrationsministerium Rheinland-Pfalz auf Anfrage unserer Zeitung nach intensiver Prüfung bestätigt.

Aziz Amiri müsste demnach von 350 Euro Lehrlingslohn seinen kompletten Lebensunterhalt bestreiten, inklusive Unterkunft und Bahnfahrkarte von Trier nach Saarburg. Die alleine kostet in jeder Woche 30 Euro. Auch nach Ansicht von Carl-Ludwig Centner, Geschäftsführer der Handwerkskammer Trier, ist das ein Dilemma. "Das zu erwartende Ergebnis, nämlich ein drohender Ausbildungsabbruch, ist aus Sicht der HWK natürlich unbefriedigend."

Für Amiri wäre das der dramatische Höhepunkt traumatischer Jahre. Sein Vater war von Taliban getötet worden. "Weil meine Familie bedroht wurde, ist meine Mutter mit mir und meinem Bruder in den Iran geflohen", berichtet der junge Mann. Etwa drei Jahre später - "wir waren auch im Iran nicht mehr sicher" - machen sich die drei auf den Weg nach Europa.

An der Grenze zur Türkei wird Aziz von Mutter und Bruder getrennt -"ich habe bis heute keinen Kontakt zu ihnen" - und reist alleine und ohne Papiere auf der Balkanroute bis an die bayerische Grenze, wo er von den Grenzbeamten auf 18 Jahre geschätzt wird. Er selbst sagt, dieses Alter erreiche er erst in diesem Frühjahr.

In Trier kommt Amiri am 8. September 2015 an. Weil er auch hier vom Jugendamt als volljährig eingestuft wird, ist ihm die intensive Betreuung versagt, wie sie alleinreisende minderjährige Flüchtlinge erfahren.

In der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier herrschen zu dieser Zeit dramatische Zustände. Für Aziz Amiri ist das auch ein Glücksfall, denn es wird zu dieser Zeit gern gesehen, wenn sich engagierte Trierer um einzelne Flüchtlinge kümmern und ihnen ein Dach über dem Kopf gewähren.

Es sind Ina Wagner-Böhm und ihr Mann, der Trierer Künstler Sebastian Böhm, denen der junge Afghane seine Chance auf eine neue Zukunft verdankt. Bei ihnen wohnt Amiri inzwischen seit mehr als 17 Monaten. Diese Zeit ist ein Musterbeispiel dafür, wie Integration trotz hoher Hürden gelingen kann. "Wenn wir ihn nicht unterstützen würden, wäre seine Ausbildung dennoch längst beendet", verdeutlicht Ina Wagner-Böhm die prekäre Lage, in der sich ihr Schützling derzeit befindet. Mit dem Saarburger Schreinerei-Chef Peter Böhm ist weder sie noch ihr Mann verwandt.

Dennoch verbindet alle drei die Begeisterung darüber, wie der junge Afghane daran arbeitet, sein Schicksal zu meistern.
Die Sprache ist das Wichtigste. Und so lernt Aziz Amiri trotz fehlender Vorbildung und ohne staatliche Unterstützung Deutsch beim Multikulturellen Zentrum Trier. Über ein Zwischenspiel an der Waldorfschule, wo der als Lehrerin beschäftigten Frau von Schreinermeister Böhm die außergewöhnlichen praktischen Fähigkeiten des jungen Manns auffallen, gelangt er an ein Praktikum bei Inform. "Nach einer halben Stunde wusste ich, dass Aziz ein toller Lehrling sein wird", erinnert sich Peter Böhm. Über die HWK Trier wird er in eine Einstiegsqualifizierung vermittelt. Nachdem das Ausländeramt Trier die Genehmigung erteilt hat, ist Amiri seit August 2016 als Lehrling eingestellt.

Doch das Ende der 380 Euro Asylbewerberleistungen, die das Sozialamt bis Anfang Dezember für Miete und Lebensunterhalt ergänzend zu seinem Gehalt gezahlt hat, bringt diese Erfolgsgeschichte der Integration in Gefahr. Das folgende Ping-Pong zwischen Sozialamt, Arbeitsagentur und Jobcenter mit dem Verweis auf die Zuständigkeit der jeweils anderen Stelle hätte weder Aziz Amiri noch irgendein anderer Flüchtling ohne intensive Hilfe überstanden. Für Ina Wagner-Böhm war es ein juristischer Crashkurs. Mit dem umfangreichen Schriftverkehr hat sie inzwischen einen Aktenordner gefüllt.

Die Erkenntnis ist ernüchternd: Aziz Amiri würde sofort wieder die volle finanzielle Unterstützung des Staates erhalten, wenn er seine Ausbildung aufgeben oder seinen Asylantrag zurückziehen würde. Die Stadt Trier hat sich inzwischen, auch nach Rückfrage des Trierischen Volksfreunds, bereiterklärt, zumindest vorläufig finanzielle Unterstützung zu gewähren. Wenn die eigene Ausländerbehörde die Genehmigung für den Beginn einer Ausbildung erteilt habe, so heißt es in der Rückmeldung der Stadt an unsere Redaktion, dann dürfe die betroffene Person nicht dadurch an einer Ausbildung gehindert werden, dass zu wenig Geld dafür und für deren Lebensunterhalt vorhanden sei.

Ina Wagner-Böhm hat nun im Auftrag ihres Schützlings Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid der Arbeitsagentur eingelegt und den Antrag auf eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht gestellt. "Ohne unsere Hilfe wäre die Ausbildung von Aziz längst beendet", ist Sebastian Böhm überzeugt. "Wir kümmern uns um den jungen Mann, stoßen dabei wegen der unklaren Gesetzeslage aber an die Grenzen."

Aziz Amiri kommt aus der von den Taliban dominierten Region Ghazni in Afghanistan. Sein Asylantrag wurde inzwischen abgelehnt. Dagegen hat er Widerspruch eingelegt. "Ich will als Schreiner in Deutschland weiterarbeiten", sagt der junge Mann. "Aber natürlich will ich auch meine Familie suchen. Dafür benötige ich einen Pass. Das Problem ist noch nicht gelöst."

Die Familie Böhm, HWK-Geschäftsführer Carl-Ludwig Centner und auch sein Chef von der Schreinerei Inform in Saarburg widersprechen ihm nicht.GESETZESLüCKE BENACHTEILIGT AZUBIS

Auszubildende und Studierende erhalten keine Leistungen über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Nach Auskunft des Integrationsministeriums Rheinland-Pfalz kann es deshalb für Asylsuchende, deren Verfahren länger als 15 Monate dauert, zu Finanzierungsproblemen kommen. Lediglich in besonderen Härtefällen kann das zuständige Sozialamt finanzielle Leistungen als Beihilfe oder Darlehen gewähren. Die Reform des AsylbLG im August 2016 sieht demnach zwar die Möglichkeit zur Ausbildungsförderung vor. Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben junge Menschen, soweit bei ihnen von einem rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt auszugehen ist. Diese Neuregelungen greifen jedoch derzeit nicht für afghanische Staatsangehörige und Menschen aus anderen vermeintlich sicheren Herkunftsländern. Nach Aussage von Ministeriumssprecherin Astrid Eriksson ist diese "Regelungslücke" mit besonderem Blick auf Afghanistan von den Bundesländern im Dezember beim Bund angesprochen worden. Rheinland-Pfalz werde sich weiterhin für entsprechende gesetzliche Änderungen einsetzen. Rheinland-Pfalz lehnt Abschiebungen nach Afghanistan weiterhin ab. Ausnahmen gebe es nur für Schwerkriminelle und Gefährder.

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