Erstmals fällt das Wort Amtsenthebung

WASHINGTON. Die Lauschangriff-Affäre in den USA spitzt sich zu: Als erstes Mitglied des US-Senats hat jetzt die Demokratin Barbara Boxer (Kalifornien) die Möglichkeit eines Amtsenthebungs-Verfahrens gegen US-Präsident George W. Bush ins Spiel gebracht.

Boxer forderte in einem Schreiben an vier führende Verfassungsrechtler des Landes diese auf, den von Bush nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 ohne richterliche Zustimmung angeordneten "Lauschangriff" des Geheimdienstes NSA gegen US-Bürger auf mögliche rechtliche Konsequenzen zu prüfen. Rückendeckung erhielt die Senatorin dabei vom Kongressabgeordneten John Lewis, der erstmals nach Bekanntwerden der Abhör-Affäre öffentlich erklärte: "Bush muss seines Amtes enthoben werden, wenn er beim Spionageprogramm das Gesetz gebrochen hat." Das Weiße Haus sieht alles ganz anders

Beide Politiker berufen sich dabei auch auf den früheren Rechtsberater des nach dem "Watergate"-Skandal zurückgetretenen Präsidenten Richard Nixon, John Dean. Dieser hatte am Mittwoch erklärt, Bush sei der erste Amtsinhaber in der Geschichte des Landes, der ein der Amtsenthebung wertes Vergehen zugegeben habe. Das Weiße Haus teilt erwartungsgemäß diese Ansicht nicht. George W. Bush habe aufgrund einer Kongress-Resolution vom 14. September 2001 die Vollmacht, alles seiner Ansicht nach Notwendige zu veranlassen, um weitere Terrorakte zu verhindern. Dennoch war man sich in der Regierungszentrale offenbar seiner Sache nicht ganz sicher. Denn ein Jahr später bat Bush das Justizministerium um eine Expertise, ob denn das Überwachen von Auslandstelefonaten und E-Mails ohne vorherige richterliche Anordnung zulässig sei. Sein damaliger Minister und Parteifreund John Ashcroft gab ihm daraufhin grünes Licht. Gegner dieser Interpretation - wie Harvard-Rechtsprofessor Laurence Tribe - vertreten jedoch nun die Auffassung, der vierte Verfassungs-Paragraf verbiete Durchsuchungen und Beschlagnahmen auf Verdacht, bevor ein Gericht dazu eine Anordnung erlassen habe. Ebenso gebe es noch mindestens zwei Gesetze im Telekommunikationsbereich, die ungenehmigte Lauschangriffe sanktionieren.Erfolgsaussichten eher schlecht

Ob ein offizielles Amtsenthebungsverfahren ("Impeachment") derzeit überhaupt Aussicht auf Erfolg haben würde, ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den beiden Kammern des Kongresses sehr fraglich. Sowohl im Senat wie auch im Repräsentantenhaus verfügen die Republikaner über Mehrheiten, und eine deutliche Strömung gegen den Präsidenten innerhalb der Partei ist derzeit nicht in Sicht. Da es aber kein zeitliches Limit für die Einleitung eines "Impeachment"-Prozesses gibt, könnten die Demokraten dies auch noch im nächsten Jahr weiterverfolgen. Dann stehen die wichtigen Zwischenwahlen zum Kongress an, bei denen sich das Machtgefüge auf dem Kapitol verschieben kann, und bei denen eine "Impeachment"-Initiative durchaus als Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung genutzt werden könnte. Bushs Vorgänger Bill Clinton überstand das nach der Lewinsky-Affäre wegen Meineids und Justizbehinderung im Dezember 1998 vom Repräsentantenhaus eingeleitete Amtsenthebungs-Begehren, weil zwei Monate später die Demokraten ihre Mehrheit im Senat für einen politischen "Freispruch" nutzten. Für einen Zwangs-Abschied Clintons wären aber 67 der 100 Senatoren-Stimmen - also eine Zweidrittel-Mehrheit - erforderlich gewesen.

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