Ethik fürs Heim

MEHREN. Gute Altenpflege muss mehr leisten, als Senioren satt und sauber zu bekommen – darüber herrscht Einigkeit. Doch was genau macht ein gutes Heim aus? Ein Eifeler Institut hat ethische Kriterien entwickelt, die der Branche Orientierung geben sollen. Einrichtungen können sich auf ihrer Grundlage zertifizieren lassen.

Nicht alles in der Altenpflege läuft, wie es sollte - das stellen auch die nicht in Frage, die bei Berichten über Missstände in Heimen von "Einzelfällen" und "schwarzen Schafen" sprechen. Wie aber sollte es idealerweise laufen?Neuer Impuls für Dauerdebatte

Das Kolleg für Wirtschafts- und Unternehmensethik von Professor Joachim Kirchhof in Mehren (Kreis Daun) gibt der Debatte um Altenpflege, der der TV in den vergangenen Monaten immer wieder ein Forum bot, einen neuen Impuls: Es hat einen Katalog von pflegeethischen Kriterien erarbeitet, der Heimen Orientierung liefert und ihnen ermöglicht, sich unter pflegeethischen Gesichtspunkten zertifizieren zu lassen. Zunächst setzten sich Mitarbeiter des Instituts mit Menschen an der Basis - Pflegepersonal, Pflegebedürftige, Angehörige - zusammen und sammelten Ideen. Die Gedanken wurden zunächst gebündelt, dann zusammen mit Ethik-Fachleuten wie Psychologen und Theologen zu einem Katalog weiterentwickelt. Nach eineinhalb Jahren stand das Werk - und umfasste 175 Kriterien. Neben verschiedenen Punkten aus dem Qualitätsmanagement wie Anzahl des Pflegepersonals und Pflegeschlüssel wird das Pflegemodell unter die Lupe genommen. Kohlhof nennt einige der Fragen: "Reduziert man Pflege auf reine Betreuung? Oder macht man sich die Mühe, mit Bettlägerigen auch mal rauszugehen?" Darüber hinaus geht es um Aspekte wie: "Was geschieht mit Verstorbenen? Erhalten Mitbewohner die Möglichkeit, Abschied zu nehmen? Gibt es einen Raum dafür?" Die Idee zu diesem Pflegeethik-Katalog sei an ihn herangetragen worden, erzählt Kohlhof, der nach einem Arbeitsleben als Banker und Wissenschaftler vor fünf Jahren das Kolleg bei Daun gegründet hat. Der rührige Pensionär war schnell von der Notwendigkeit überzeugt. Über das Qualitätsmanagement werde oft die Frage nach der Würde des Menschen vergessen, kritisiert er. Ethik spiele kaum eine Rolle in der Ausbildung von Pflegekräften. Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat Kohlhof ein Bewertungssystem entwickelt, wonach Heime sich in punkto Pflegeethik zertifizieren lassen können. Denn die Kontrolle der Häuser durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen sei "in vielen Bereichen eine Farce", meint Kohlhof. Die Zertifizierung übernimmt der Tüv. Entsprechende Anfragen leitet das Institut dorthin weiter - nicht ohne seine Beratung und Begleitung im Zertifizierungsprozess anzubieten. Allerdings: Bis heute hat sich nicht ein einziges Heim zertifizieren lassen. "Viele haben sich sehr interessiert gezeigt, aber bisher hat niemand den Sprung gewagt." Nicht nur aus Kostengründen, wie Kohlhof meint, "sondern auch wegen vorhandener ethischer Pflegedefizite, Personal- und Raummangels". Die dürftige Resonanz verdrießt den Professor nicht. "Ich bin überzeugt, dass auf mittlere oder längere Sicht kein Weg an einer ethischen Zertifizierung von Alten- und Pflegeeinrichtungen vorbeiführen kann." Selbst Häuser "mit Schwimmbad und Sauna" könnten sich künftig nicht mehr durchsetzen, wenn sie auf dem Gebiet der Pflegeethik nichts zu bieten hätten. Kohlhof sieht die Gesellschaft in einem "geistigen Umbruchprozess": In Zukunft wählten Menschen Heime bewusst, sie zögen freiwillig dorthin und informierten sich vorher ausgiebig. "Wir werden einen massiven Markt der Altenpflege bekommen", prophezeit der Institutsleiter. Neben den steigenden Ansprüchen der Pflegebedürftigen sieht Kohlhof diese These auch durch nüchterne Zahlen gestützt: "Die Zahl der Pflegebedürftigen wird von derzeit 1,7 Millionen auf drei Millionen im Jahr 2030 steigen."

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