EuGH-Urteil: Deutschland könnte Geflüchtete zurückschicken, die über Kroatien eingereist sind

Brüssel · Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat die Praxis des Durchwinkens durch kroatische Behörden für illegal erklärt – Deutschland könnte deshalb jetzt Geflüchtete zurückschicken.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mittwoch ein wichtiges Urteil zur Flüchtlingspolitik gefällt. Demnach gelten die Regeln des EU-Asylrechts auch in Ausnahmesituationen wie im Herbst 2015, als Hunderttausende Migranten auf dem Landwege über die Balkanroute die EU-Staaten erreichten.

Im Kern geht es bei dem Fall um die Praxis des "Durchwinkens". Das "Durchwinken" hatte in der großen Flüchtlingskrise eine wichtige Rolle gespielt und dazu geführt, dass viele von den 890 000 2015 in Deutschland registrierten Asylsuchenden überhaupt in die Bundesrepublik kommen konnten. Viele Migranten betraten damals in Kroatien erstmals den Boden der EU.

Anstatt ein Asylverfahren einzuleiten, geleiteten die kroatischen Grenzbeamten aber im großen Stil die Flüchtlinge durch das Land hindurch an die Grenze nach Slowenien. Kroatische Behörden organisierten sogar Busse für den Transport. Die Flüchtlinge haben dann in anderen EU-Ländern Asyl gesucht, in Slowenien, Österreich und besonders zahlreich in Deutschland.

Die Richter des EuGH verwerfen mit ihrem Urteil die Praxis des Durchwinkens. Kroatiens Behörden haben also rechtswidrig gehandelt. Nach geltendem EU-Recht ist in der Regel der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig, in dem der Migrant erstmals EU-Boden betritt. Diese Regel sieht die sogenannte Dublin-III-Verordnung vor. Hintergrund des Urteils sind die Fälle eines Syrers und zweier Afghaninnen, die von Serbien kommend zunächst in Kroatien EU-Boden betraten und von den dortigen Behörden nach Slowenien "durchgewunken" wurden. 2016 stellten die beiden afghanischen Frauen in Österreich ihren Asylantrag und der Syrer in Slowenien. Beide Länder weigerten sich aber, das Asylverfahren durchzuführen mit Hinweis auf die Dublin-Verordnung. Kroatien sei zuständig.

Die EuGH-Richter bestätigten nun die Rechtsauffassung der Slowenen und Österreicher. Nicht ausschlaggebend sei, so die Richter, "dass das Überschreiten der Grenze in einer Situation erfolgt, die durch die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl internationalen Schutz begehrender Drittstaatsangehöriger gekennzeichnet" sei.

Damit ist klar: Deutschland hätte 2015 und 2016 nicht diese hohe Zahl von Migranten aufnehmen müssen. Die Behörden hätten sich auf den Standpunkt stellen können, dass andere EU-Staaten für das Asylverfahren zuständig seien. Die Bereitschaft Deutschlands, 2015 und 2016 über eine Million Menschen aufzunehmen, und die Asylpolitik der Koalition, die Angela Merkel viele Sympathien gekostet hat, beruhten also auf einer freiwilligen Basis. Allerdings verbietet EU-Recht auch nicht die Aufnahme. Eigentlich nicht zuständige Mitgliedstaaten könnten - "einseitig oder in abgestimmter Weise im Geiste der Solidarität" - sich solcher Fälle annehmen.

Theoretisch könnte Deutschland die Flüchtlinge, die über Kroatien gekommen sind, dorthin wieder zurückschicken. Allerdings müsste Deutschland dabei nachweisen, wo die Flüchtlinge zuerst EU-Boden betreten haben. Außerdem machen die EuGH-Richter eine Härtefallklausel geltend: Das Zurückschicken an den zuständigen Mitgliedstaat ist dann nicht zulässig, so das Gericht, wenn die Betroffenen in Gefahr seien, "eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden." Die Bundesregierung begrüßte das EuGH-Urteil. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Mittwoch in Berlin, man sehe sich in der Auffassung bestätigt, dass die sogenannte Dublin-Verordnung grundsätzlich auch in einer Ausnahmesituation Gültigkeit habe. "Das war das, was wir auch immer unserem Regierungshandeln zugrunde gelegt haben."

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