Europa-Serie, Teil 2: Der Brexit hat EU-Freunde aufgeweckt

Trier · Wie der Abschied der Briten die Stimmung verändert. Am 8. September können TV-Leser mit dem deutschen Botschafter Heinrich Kreft über diese und andere Fragen diskutieren.

Viele Europäer hatten sich am 23. Juni 2016 ins Bett gelegt und gedacht: Was soll schon groß passieren? Und so starrten sie am kommenden Morgen zunächst ungläubig, dann geschockt auf ihre Smartphones oder Fernsehbildschirme: 51,89 Prozent der Briten hatten bei einem Referendum für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gestimmt.

Der drohende Brexit war plötzlich kein Rascheln im Blätterwald mehr, das mit der Zeit schon verstummen würde. Er war real. Er würde kommen. Und selbst manche, die sich von Schlagzeilen nicht so schnell verunsichern lassen, beschlich die Angst.

Kann die EU das verkraften? Finanzkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Terror und jetzt auch noch ein Rechtsruck, der Großbritannien aus der Gemeinschaft katapultiert? Was, wenn andere es den Briten gleichtun? Was, wenn die EU zerbricht?

Als Donald Trump wenige Monate später zum Präsidenten der USA gewählt wurde, witterten die Populisten in Österreich, den Niederlanden und Frankreich ihre Chance. Die Umfragen gaben ihnen recht. Doch dann kam alles anders.

Als erstes Land sagte Österreich den Rechtspopulisten mit seiner Bundespräsidentenwahl leise Servus. Auch bei den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich blieben die EU-Kritiker deutlich hinter den Erwartungen zurück. Eine Folge des Brexits? "Ja", sagt Europa-Experte Joachim Schild, Professor für vergleichende Regierungslehre an der Uni Trier. "Der Brexit hat Euroskeptikern anschaulich vor Augen geführt, welche Kosten und Schwierigkeiten mit einem EU-Austritt verbunden sind."

Dass Marine Le Pen einen solchen für Frankreich forderte, habe die Bevölkerung verunsichert. Emmanuel Macron hingegen konnte mit seinem klar pro-europäischen Kurs punkten. Die großen Parteien hätten erkannt, dass sie aktiv für europäische Überzeugungen eintreten müssen, sagt Schild. "Da hat sich was verändert durch den Brexit."
Der Politologe rechnet damit, dass diese "gegenteilige Wirkung" noch ein paar Jahre anhält: Statt einen Keil zwischen die anderen 27 Staaten zu treiben, habe man nun das Gefühl, dass der Brexit sie enger zusammenrücken lasse.
Auch das Eurobarometer 2017, eine Umfrage im Auftrag des EU-Parlaments, zeigt, dass die Europäer ihre Gemeinschaft wieder positiver sehen: 57 Prozent (plus vier im Vergleich zu 2016) finden es gut, Mitglied der EU zu sein - in Deutschland sogar 79 Prozent.

Geht ein Ruck durch Europa? "Ja", sagt die Triererin Elfriede Mommenthal-Aymanns ohne zu zögern. "Der Brexit war ein Weckruf. Für mich und für viele andere." Die ehemalige Geschichtslehrerin beobachtete die Entwicklung mit Sorge: die Abschottung, die Fremdenfeindlichkeit, den Rückzug auf die Nationen. "Die Weltkriege waren das Ergebnis von nationaler Übersteigerung. Das geht schnell", sagt sie. Zwar fühlte sie sich einerseits ohnmächtig, doch hatte sie andererseits das Gefühl, "man müsste etwas tun".

Und so fragte sie Bekannte, ob die Bürgerbewegung "Pulse of Europe" (Pulsschlag Europas) nicht auch etwas für Trier wäre. Zu siebt trafen sie sich voller Tatendrang und organisierten eine erste Demonstration. Keine Woche später standen Hunderte Menschen auf dem Trierer Hauptmarkt, um zu zeigen, dass Europa ihnen wichtig ist. Dass sie bereit sind, sich für diese Gemeinschaft einzusetzen. Auch in vielen anderen Städten Europas gingen die Menschen auf die Straße.

Ist der Spuk also vorbei? "Die Kräfte, die den Populismus gestärkt haben, die sind nach wie vor da", betont Schild. Man solle die Populisten nicht vorzeitig abschreiben. Sie hätten weiterhin mehr Unterstützung, als man das vor einigen Jahren für möglich gehalten hätte. Einigen sei es gelungen, sich im Parteiensystem fest zu verankern. "Sie werden nicht über Nacht verschwinden", sagt der Trierer Professor. Pulse of Europe Trier wird daher weitermachen.
Immer sonntags, am 3., 10. und 17. September werden Elfriede Mommenthal-Aymanns und andere in der Trierer Innenstadt von 14 bis 15 Uhr auf die Straße gehen, um auf das Positive hinzuweisen, das die EU ihren Bürgern bringt: an allererster Stelle Frieden und Freiheit. "Wir überlassen den Euro-Skeptikern nicht das Feld", sagt Elfriede Mommenthal-Aymanns. "Wir sind nicht ohnmächtig."Extra: DISKUTIEREN SIE MIT DEM BOTSCHAFTER!


(Mos) "Welches Europa wollen wir?" Über diese Frage und die Rolle Deutschlands in Europa können Volksfreund-Leser am Freitag, 8. September, mit dem deutschen Botschafter Heinrich Kreft diskutieren, der die Belange der Bundesrepublik in Luxemburg vertritt. Das Auswärtige Amt und der Trierische Volksfreund laden ab 18.30 Uhr im Rahmen der Diskussionsreihe "Außenpolitik live - Diplomaten im Dialog" ins Medienhaus, Hanns-Martin-Schleyer-Straße 8 in Trier, ein. Die Teilnahme ist gratis, eine Anmeldung erforderlich unter Telefon 0651/71990. Anmeldeschluss ist der 31. August. In der vorigen Folge unserer kleinen Europa-Serie haben wir die Rolle Deutschlands in der EU beleuchtet. In der folgenden gehen wir der Frage nach, wie die Region Trier aussähe, wenn es die EU nicht gäbe.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort