Föten besonders gefährdet

"Es gibt einen dokumentierten Zusammenhang zwischen Reaktor-Emissionen, die in den Körper gelangen, und einer erhöhten Krebsgefahr." Mit dieser Aussage bestätigt der US-Wissenschaftler Joseph Mangano aus dem Bundesstaat New Jersey, seit 30 Jahren auf dem Gebiet des Strahlenschutzes tätig, die aufsehenerregende Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz in Deutschland.

Washington/New York. Zusammen mit sieben weiteren Medizinern hatte Mangano am 12. November eine Expertise vorgelegt, bei der es um die Frage ging: Sollte das Atomkraftwerk "Indian Point", nur 50 Kilometer nördlich von Manhattan gelegen, 20 weitere Jahre Kernkraft produzieren dürfen - oder überwiegen die Gesundheitsbedenken zum Schutz der Anwohner? In der Zusammenfassung seiner Studie kommen Mangano und die übrigen beteiligten Wissenschaftler dann zu aufsehen-erregenden Schlussfolgerungen: Der Anteil an Radioaktivität im Hudson River, der nahe dem Reaktor läuft, sei zehnmal höher als an weiter entfernten Mess-Stellen des Bezirks Albany. In den vier Bezirken, die dem Atomkraftwerk am nächsten liegen, übersteige die Krebsrate deutlich den regionalen und nationalen Durchschnitt. Im Bundesstaat New York seien die Krebsfälle bei Kindern sowie die Rate für Schilddrüsenkrebs am höchsten bei Anwohnern nahe des "Indian Point"-Werkes. Und: Wer innerhalb von acht Kilometern der Anlage wohne, habe ein 20 Prozent höheres Tumorrisiko als in den übrigen Gegenden der zwei das Werk umgebenden Bezirke. Nach Schätzung von Mangano würde allein die Schließung der zwei aktiven Atommeiler von "Indian Point" in den nächsten 20 Jahren rund 5000 Krebserkrankungen verhindern. Dass Kinder in der Nähe von Kraftwerken einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, hat der Wissenschaftler dabei in einer gesonderten Studie belegt. Mangano zufolge scheiden Atomkraftwerke täglich rund 100 verschiedene Substanzen und Chemikalien aus, die dann in den Körper durch Atmung oder Lebensmittel eindringen. "Ein Fötus im Mutterleib und Kleinkinder sind besonders gefährdet, weil ihr Immunsystem noch unterentwickelt ist und weil sie sich in der Wachstumsphase befinden", so der Mediziner.Extra Machen Atomkraftwerke Kinder krank? Darüber wird viel diskutiert. Denn Ärzte sagen, das wäre vielleicht möglich. Sie berichten: In der Nähe solcher Kraftwerke erkranke im Durchschnitt pro Jahr etwa ein kleines Kind mehr an Krebs als anderswo. Das sei zumindest in den 23 Jahren zwischen 1980 und 2003 so gewesen. Das teilte das Bundesamt für Strahlenschutz mit. Die Fachleute schauten auf Kinder unter fünf Jahren. Besonders guckten sie sich jene Kinder an, die weniger als fünf Kilometer entfernt von Atomkraftwerken wohnten. Dort bekamen in den 23 Jahren insgesamt 77 Kinder Krebs. Eigentlich wären aber nur 48 Fälle zu erwarten gewesen, berichten die Forscher. Doch es waren 29 kranke Kinder mehr. Warum genau, wissen die Experten nicht. Sie sagen, dass nur eine Mini-Menge gefährlicher Strahlung aus deutschen Atomkraftwerken entweiche. Erst tausendmal mehr Strahlung könnte die häufigeren Fälle auslösen, meinte auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Die Ärzte mit ihrer Studie sagen: Es kann auch sein, dass andere Dinge an den Krebserkrankungen schuld sind, die sie übersehen haben.

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