Familie wiederentdeckt

TRIER. Familienfreundlichkeit muss nicht im Gegensatz zur Gewinnorientierung der Unternehmen stehen. Das jedenfalls glaubt der Wirtschaftsexperte Bert Rürup.

Eigentlich müsste Karl-Heinz Päulgen frustriert sein. Denn die Zwischenbilanz des vom Trierer DGB-Vorsitzenden initiierten lokalen Bündnisses für Familien fällt nach einem Jahr bescheiden aus. Familienfreundlichkeit haben sich zwar viele Kommunen und Unternehmen auf die Fahne geschrieben. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft in der Region trotz des Bündnisses noch eine Lücke. Immerhin soll demnächst eine Übersicht über familienfreundliche Angebote wie etwa Kinderbetreuungsmöglichkeiten veröffentlicht werden – ein erstes Ergebnis des Bündnisses. Doch um Unternehmen zu überzeugen, die viel beschworene bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch umzusetzen, bedarf es auch in der Region noch jede Menge Überzeugungsarbeit. Päulgen und seine Mitstreiter gehen daher derzeit Klinken putzen, um die Chefs davon zu überzeugen, dass Teilzeitarbeit oder flexible Arbeitszeiten keineswegs kontraproduktiv sein müssen: "Der Krankenstand von Eltern kleiner Kinder sinkt, die Mitarbeiter sind einfach motivierter", wirbt der Gewerkschafter für mehr Familienfreundlichkeit in den Unternehmen. Der Darmstädter Wirtschaftssachverständige Bert Rürup glaubt sogar, dass eine nachhaltige Familienpolitik eine Job-Maschine sein kann und dadurch die Wachstumsschwäche überwunden werden kann. Eine bessere Kinderbetreuung, die Einführung eines Elterngeldes und familienorientiertere Arbeitszeiten – damit soll nicht nur Eltern entgegengekommen werden, sondern die Wirtschaft wieder brummen. Das Thema Kinderbetreuung hat sich Familienministerin Renate Schmidt (SPD) ohnehin längst auf die Fahnen geschrieben. So soll die Betreuung der unter Dreijährigen ausgebaut werden – die Kommunen sollen das durch Einsparungen bei der Sozialhilfe durch Hartz IV finanzieren. Bislang sind jedoch diese Einsparungen weitestgehend ausgeblieben. Rürup gibt mit seinem Gutachten den Sozialdemokraten Schützenhilfe für ihr Wahlmanifest, in dem sie die Familie neu entdeckt haben. So findet sich auch die Forderung nach der Einführung eines einjährigen Elterngeldes darin. Insofern war die Vorstellung des Rürup-Gutachtens mit Bedacht gewählt. Es sind allerdings keine neuen Weisheiten, die Rürup präsentiert: Starre Arbeitszeiten stünden dem Kinderwunsch vieler Frauen entgegen, sie müssten sich zwischen Kindern und Karriere entscheiden. "Mit der Folge, dass in aller Regel einer dieser Wünsche unerfüllt bleibt", sagt Rürup. Ausweg aus diesem Dilemma seien familienorientierte Arbeitszeiten wie Gleit- oder Teilzeit, Arbeitszeitkonten, Telearbeit oder Job-Sharing. Dadurch könnten Eltern Job und Familie besser unter einen Hut bringen und damit zum Wirtschaftswachstum und Abbau des Fachkräftemangels beitragen, glaubt Rürup. Offen bleibt, wie Unternehmen dazu gebracht werden sollen. Familienexperten sind daher skeptisch. Rürup orientiere sich nur an den Bedürfnissen der Wirtschaft, Familien würden zur reinen Nachschubquelle für den Arbeitsmarkt, moniert das Heidelberger Familienbüro. KOMMENTAR S. 2

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