Familienförderung: Es ist lange Zeit zu wenig geschehen

TRIER. Viel versprochen, wenig gehalten. Auch der Deutsche Familienverband (DFV) kritisiert die nicht eingehaltenen Wahlversprechen der Parteien, vor allem im Hinblick auf Familienförderung. Trotzdem habe die Politik die Bedeutung des Themas erkannt, sagt DFV-Bundesgeschäftsführer Marcus Ostermann im TV- Interview.

Im Vorfeld der Bundestagswahl haben Sie dieParteiprogramme in Sachen Familientauglichkeit auf den Prüfstandgestellt. Das Programm der SPD bewerteten Sie als Schritt in dierichtige Richtung. Was ist denn von der versprochenenFamilienpolitik in der Regierung noch übrig geblieben? Ostermann: Es sind leider nur noch Teile übrig geblieben. Als Schritt in die richtige Richtung haben wir die angekündigte Verbesserung der Betreuungsmöglichkeiten bezeichnet. Allerdings haben wir damals schon gesagt: Die Betreuung ist das eine, das andere ist die materielle Förderung von Familien. Und was das betrifft, sind die Wahlversprechungen leider auf der Strecke geblieben, wie zum Beispiel das Versprechen, das Kindergeld von 154 Euro auf 200 Euro zu erhöhen.

Man hat den Eindruck, dass immer, wenn über Familienpolitik gesprochen wird, nur der finanzielle Aspekt, also wie Familien besser ausgestattet werden können, diskutiert wird. Greift das nicht zu kurz?

Ostermann: Man muss erkennen, dass sich die Lebenswirklichkeit in Deutschland verändert hat. Insofern ist es vollkommen richtig, dass die Frage nach ausreichenden Betreuungsangeboten mit in den Vordergrund rückt. Das andere Standbein der Familienpolitik ist aber, Familien so auszustatten, dass es nicht zu einem Armutsrisiko wird, Kinder zu bekommen.

Das Stichwort Armutsrisiko wird immer ins Feld geführt, wenn es darum geht, eine familienfreundlichere Politik zu machen. Ist es aber nicht ein Jammern auf hohem Niveau? Im Grunde genommen geht es den Familien in Deutschland doch gar nicht so schlecht, oder?

Ostermann: Das ist nur bedingt richtig. Im Europa-Vergleich liegt Deutschland in Sachen Familienpolitik ziemlich weit am Ende. Beispielhaft sind da die skandinavischen Länder oder etwa Frankreich. In Frankreich gibt es neben einer guten finanziellen Familienförderung ein gut funktionierendes System individueller Betreuungsangebote, z.B. Tagesmütter. Insgesamt haben wir also extremen Handlungsbedarf. Familien müssen einfach einen höheren Stellenwert in der Politik erhalten.

Ist Deutschland also familienfeindlich?

Ostermann: In Deutschland hat sich in Sachen Familienpolitik zum Glück schon einiges geändert. Seit einiger Zeit ist ein Bewusstseinswandel zu erkennen. Dass also Familienpolitik ausschließlich stiefmütterlich behandelt wird, ist zumindest im letzten Wahlkampf widerlegt worden. Alle Parteien haben Familienpolitik zu ihrem Thema gemacht. Die Politik hat erkannt, dass Handlungsbedarf besteht. Es ist nur viele Jahre zu wenig geschehen.

Trotzdem: Die Kritik an der Familienpolitik, das Betrachten von Kindern als Armutsrisiko - birgt das alles zusammen nicht die Gefahr, dass vielen Menschen die Lust vergeht, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen? Viele junge Leute entscheiden sich heute doch auch ganz bewusst gegen eine Familie, weil sie eine andere Lebensplanung haben?

Ostermann: Dieser Eindruck ist nicht richtig. Junge Menschen wünschen sich nach wie vor Kinder. Natürlich darf man nicht so weit gehen, dass man sagt, Schuld an der Entscheidung gegen Kinder sind allein schlechte politische Rahmenbedingungen. Da spielen schon verschiedene Einflüsse mit. Aber ein wesentlicher Faktor bei der ganz individuellen Entscheidung für oder gegen Kinder ist eben die Frage: Kann ich mir das leisten?

In Deutschland wird derzeit heftig über den Umbau des Sozialstaates diskutiert. Weitere Einschnitte und zusätzliche Belastungen werden unumgänglich sein. Sind weitere Belastungen für Familien noch verkraftbar?

Ostermann: Nein. Für den Erhalt der sozialen Sicherungssysteme ist ein generativer Beitrag unumgänglich. Unser Sozialsystem istgrößtenteils umlagefinanziert. Das bedeutet: Für die Ausgaben, die momentan anfallen, muss gleichzeitig auch eine gewisse Zahl an Beitragszahlern da sein. Daher wäre es verheerend, ausgerechnet im sozialen Bereich noch für Familien Einschnitte zubeschließen, weil gerade die einen Beitrag dazu leisten, dass diese Systeme in Zukunft funktionsfähig bleiben. Deshalb fordern wir: Erziehungsleistung muss in der Rentenversicherung stärker anerkannt werden.

Bedeutet das, dass sich kinderlose Paare nicht sozial verhalten? Sollen diese dann finanziell belastet werden?

Ostermann: Man darf auf gar keinen Fall Familien mit Kindern und Kinderlose gegenein-ander ausspielen. Darum geht es auch überhaupt nicht. Es soll niemand benachteiligt oder schlechter gestellt werden. Es geht darum, dass diejenigen, die für die anderen einen Beitrag leisten und dafür mehr zahlen müssen, also Familien, dafür einen Ausgleich erhalten. Es ist Jedermanns gutes Recht, auch keine Kinder haben zu wollen. Das sind höchst persönliche Lebensentscheidungen.

Das Interview führte unser Redakteur Bernd Wientjes

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