Faule Eier im Osternest

BERLIN. Kanzler Gerhard Schröder geht in Urlaub - pünktlich zur Großdemonstration gegen seine Agenda 2010. Womöglich ist das nur der Auftakt einer ganzenProtestwelle.

Gerhard Schröder packt heute in Hannover die Koffer, um sich ab Sonntag zwei Wochen in seinem Lieblingsurlaubsland Italien mit Frau und Tochter zu erholen. Endlich weg vom ganzen Ärger und Stress daheim. Nichts sehen und hören von nörgelnden Bürgern, von motzenden Genossen und Gewerkschaftern. Wenn es mal so einfach wäre. Den Bildern von diesem Samstag wird der Kanzler nämlich nicht entgehen können: Allein in Berlin wollen 100 000 Menschen gegen den Sozialabbau der Agenda 2010 demonstrieren. Das wirkt bis in die Toskana nach. Außerdem dürfte Schröder der Start in den Urlaub dadurch vermasselt werden, dass die Gewerkschaften jetzt mit massiven Streiks im öffentlichen Dienst drohen. Und als ob das alles noch nicht ausreicht, zetert der eine oder andere hochrangige Parteifreund mal wieder über seinen Reformkurs. Schöne Ferien fangen anders an. Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen- und Friedensgruppen sowie Globalisierungsgegner haben heute zur Teilnahme am europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau und für gerechte Reformen aufgerufen. Und weil Schröder weiß, was ihm bei den bundesweiten Großdemonstrationen blüht, übte er sich gestern in weiser Demut. Es sei nicht immer leicht, die Menschen mitzunehmen, meinte er milde und staatsmännisch in einem Interview. Vor allem dann, wenn die Belastungen aktuell spürbar seien, die positiven Wirkungen aber erst später einträten. Mag ja stimmen. Das Problem ist jedoch, dass dies genau die Einschätzungen sind, die die Protestler vom Regierungschef eben nicht hören wollen. Sie wollen etwas anderes: Rot-Grün müsse bereit sein, "falsche Positionen zu revidieren", fordert quasi stellvertretend DGB-Chef Michael Sommer eine Abkehr vom Reformkurs. Aber nicht nur Schröder gilt diese Aufforderung. Die beiden Regierungsmitglieder, die heute ebenso in der Schusslinie stehen werden, heißen Wolfgang Clement (Arbeitsminister) und Ulla Schmidt (Sozialministerin). Beide tun es daher ihrem Chef gleich und machen sich aus dem Staub: Der eine reist davon, die andere "nimmt nicht teil", so ihre Sprecherin. Überraschend ist das nicht. Schließlich wäre es merkwürdig, wenn Clement und Schmidt gegen das meckerten, was sie selbst beschlossen haben. Matthias Platzeck übrigens, schon jetzt wahlkämpfender SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, hat damit kein Problem: Arbeitslosen sollte man doch nicht so viel zumuten, wie bisher vorgesehen, stänkerte er gestern in bester Abweichler-Manier gegen die Schröder-Agenda. Einen schönen Urlaub wünscht man seinem Kanzler so jedoch nicht. Und wie halten es die Genossen mit den Genossen, die sich heute bei den Demos einhaken wollen? Die Teilnahme von SPD-Mitgliedern an den Protesten werde "geduldet", hatte Anfang der Woche Generalsekretär Klaus Uwe Benneter gesagt. Intern gilt aber, rot-grüne Spitzenleute sollten auf alle Fälle fernbleiben.Auch Genossen marschieren mit

Dass ein Schröder-Kritiker wie Ottmar Schreiner aus dem Saarland mitmarschiert, verwundert die SPD-Spitze nicht: "War doch klar", heißt es. Agenda-Rebell Schreiner hält in Berlin sogar eine Rede und will "gegen den Irrglauben, durch platten Sozialabbau mehr Beschäftigung schaffen zu können", wettern. Ganz weit vorne wird auch Verdi-Chef Frank Bsirske stehen, um sich gegen Arbeitszeitverlängerungen zu stämmen. Er drohte gestern schon mit einem "Konflikt in bisher nicht bekanntem Ausmaß", sollten die Länder an ihrer Forderung nach Ausdehnung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst festhalten. Zumindest damit sitzt er in einem Boot mit dem Bundeskanzler, der in dieser Frage den Schulterschluss mit den Gewerkschaften sucht. Denn der Zoff könnte auch Schröder auf die Füße fallen - weil er zur Nagelprobe für die ganze Tarifpolitik werden dürfte. Und was der Niedersachse derzeit gar nicht gebrauchen kann, sind Streiks im Osternest. Schöne Ferien beginnen jedenfalls anders.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort