Feuer unterm Dach

BERLIN. In der SPD, besonders in der Bundestagsfraktion, rumort es gewaltig. Einige Abgeordnete machen keinen Hehl daraus, dass sie aus persönlichen Gründen sauer auf des Kanzlers Neuwahl-Pläne sind.

Es gibt Dinge, die hält man lieber unter der Decke in der jetzigen, politisch so brisanten Phase. Zum Beispiel, wenn ein langjähriger Genosse massive Kritik an seiner Parteiführung übt, sogar von "Vergewaltigung der SPD" schreibt und einen "Putsch von oben" beklagt. Der renommierte Sozialdemokrat Ulrich Maurer hat das getan, vor wenigen Tagen flatterte den Vorständlern der SPD ein "Brandbrief" des früheren Präsidiumsmitglieds sowie ehemaligen Fraktionschefs und Parteivorsitzenden in Baden-Württemberg auf den Tisch. Seinen ganzen Frust und seine Wut über den Zustand der Sozialdemokratie hat Maurer in das Schreiben gelegt. Doch die Reaktion der Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus fällt bewusst lapidar aus: "Kein Kommentar", so ein Sprecher. Es ist schließlich schon genug Feuer unter dem Dach der SPD, insbesondere in der Bundestagsfraktion. Zahlreiche Abgeordnete der Koalition sind immer noch mächtig sauer auf Kanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering. Aus ganz persönlichen Motiven, wie sie ohne Umschweife zugeben: Der Neuwahl-Coup der Spitzengenossen hat einige Lebensplanungen völlig durcheinander gebracht. Schneller als erwartet müssen viele Parlamentarier jetzt um die Wiederaufstellung in den Heimatwahlkreisen und die wenigen, sicheren Listenplätze kämpfen - das Gerangel hinter den Kulissen ist groß, wie zu hören ist. Selbst wenn die Ochsentour geschafft ist, bleibt der Einzug ins Parlament ungewisser denn je: Allein bei der SPD, schätzen Wahlforscher, werden nach jetzigem Stand der Umfragen 100 Abgeordnete ihr Direktmandat bei einer vorgezogenen Bundestagswahl im September verlieren. 2002, beim letzten Urnengang, hatte die SPD noch 171 Sitze direkt gewonnen. 80 Genossen kamen über die Landeslisten ins Parlament. "Die Stimmung ist wie auf der untergehenden Titanic", hört man aus der Fraktion. Aber nicht nur bei den Abgeordneten herrscht so etwas wie Existenzangst. Die rot-grünen Mitarbeiter trifft es weitaus härter als die meist gut versorgten Parlamentarier; ihnen droht die Arbeitslosigkeit nach einem Regierungswechsel. "Tausende Mitarbeiter sind betroffen und das nicht vorbereitet", beklagt die Neuwahl-Kritikerin Antje Vollmer (Grüne). In den Reihen der Koalition hätten "die meisten noch mit dem Schock dieser Entscheidung zu tun", beschreibt sie das trübe Stimmungsbild bei Roten und Grünen. Auch deswegen ranken sich so viele Gerüchte um das Procedere der Vertrauensfrage. Hinter vorgehaltener Hand ist die Kritik am Kanzlerweg in der Koalition groß, und weil viele Abgeordnete das Spiel nicht mitmachen sowie den Schwarzen Peter für den Kanzlersturz bei einer namentlichen Abstimmung haben wollen, plant Schröder anscheinend, seine Minister mit Bundestagsmandat und die parlamentarischen Staatssekretäre anzuhalten, ihm das Vertrauen am 1. Juli nicht auszusprechen. Spekuliert wird in Berlin darüber hinaus eifrig, was passieren könnte, wenn der Kanzler mit seinem Weg zu Neuwahlen scheitert.

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