Fischer zittert weiter

BERLIN. Angesichts neuer Vorwürfe der Union und offensichtlich sinkender Beliebtheit will Außenminister Joschka Fischer (Grüne) in der Affäre um massenhaften Visa-Missbrauch in die Offensive gehen. Man werde von ihm in den nächsten Tagen "ein paar sehr klare Worte hören", sagte Fischer am Donnerstag in Berlin.

Nach der zweiten öffentlichen Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre schienen Koalition und Opposition gestern in Berlin wieder völlig unterschiedliche Veranstaltungen erlebt zu haben. Für die Abgeordneten von SPD und Grünen wurde Außenminister Joschka Fischer erneut von sämtlichen Vorwürfen entlastet. Union und FDP bekundeten dagegen einhellig, die grüne Galionsfigur gerate immer tiefer in den Schlammassel. Im Mittelpunkt der Anhörung stand diesmal der so genannte Wostok-Bericht. Das russische Wort (zu deutsch: Osten) steht für eine Untersuchung des Bundeskriminalamtes (BKA) über die Auswüchse der Schleuser-Kriminalität in den GUS-Staaten. Ein Mitverfasser des zum größten Teil als geheim eingestuften Papiers, das zwischen 2001 und 2003 immer wieder aktualisiert wurde, war BKA-Hauptkommissar Lars Rückheim. Er berichtete den Parlamentariern, dass seiner Behörde schon im Jahr 2000 "erste Erkenntnisse" über einen Visa-Missbrauch vorlagen. Im Jahr zuvor war ein Erlass des Auswärtigen Amtes in Kraft getreten, nach der eine bis dato für Kranken- und Rückführungskosten übliche Reiseschutzversicherung praktisch zum Freibrief für die Visa-Erteilung aufgewertet wurde. Im Frühjahr 2000 kam der so genannte Volmer-Erlass hinzu, der die deutschen Botschaften anwies, "im Zweifel für die Reisefreiheit" zu entscheiden. Mit politischen Bewertungen hielt sich der Beamte sorgsam zurück. Doch seine Aussage, "je weniger Prüfkriterien" bei der Visa-Vergabe zum Zuge kämen, um so "schwieriger" sei die Aufdeckung von Schleusungen, bestätigte die Auffassung der Opposition. Union und FDP werfen der Bundesregierung vor, wegen laxer Bewilligung von Reisedokumenten massenhaft Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schwarzarbeit begünstigt zu haben. Im Februar 2001 unternahm Rückheim eine Dienstreise nach Kiew, weil die deutsche Visa-Stelle "den Verdacht hatte, dass es sich im größeren Umfang um Visa-Erschleichungen handelt". Im Januar 2001 verbuchten die Mitarbeiter einen Anstieg der Antragsflut um 130 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Als einen Grund hätten die Bediensteten die Erlasse des Auswärtigen Amtes angeführt, sagte Rückheim. Zugleich bestätigte er Angaben des Wostok-Berichts, wonach Frauen mit deutschen Visa auch in anderen westeuropäischen Ländern zur Prostitution gezwungen wurden.

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