Flache Wasser, Raketen und Querschläger

Gestern war die letzte reguläre Kabinettssitzung - Zeit für die Abschlusszeugnisse. Es war wie in jeder Schulklasse: Einige überraschten positiv, andere enttäuschten.

Berlin. (has/vet/wk) Die Noten für die Ministerinnen und Minister - in alphabetischer Reihenfolge, weil vor dem Wähler ja alle gleich sind - vergab unser Berliner Korrespondentenbüro.

Ilse Aigner (CSU): Die Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin hatte in ihrer knapp einjährigen Amtszeit ein Problem: Horst Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident sieht in der 44-Jährigen nämlich seine Erfüllungsgehilfin in Berlin. Und die schwankt noch, ob sie diese Rolle erfüllen soll oder nicht. Nein zum Genmais (mit Seehofer), ja zur Genkartoffel (gegen Seehofer). Sollte sie erneut Ministerin werden wollen, ist ein eigener Kopf nötig.

Sigmar Gabriel (SPD): Der seit dem vergangenen Samstag 50 Jahre alte Niedersachse hat viel bewegt - Stichwort Klimaschutzpaket - und gilt trotzdem nicht als Öko-Fundi. Die Kopenhagener Klimaverhandlungen würde er gern als Minister erleben. Das hätte er verdient. Falls er in die Opposition muss, wäre er der beste neue Fraktionschef der SPD. Denn der Mann kann auch beißen. Der Atomlobby bereitet er derzeit allein größere Schwierigkeiten als alle Grünen zusammen.

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU): Der Hübscheste, Weltläufigste und Jüngste von allen. Damit erklärt sich der Höhenflug des 37-jährigen Wirtschaftsministers auf der Beliebtheitsskala. Mit Leistungen (noch) nicht. Sagte Nein zum Rettungskonzept für Opel. Hatte allerdings selbst kein anderes Konzept parat und großes Glück, das die Sache bisher für Opel gut ausging. Der Mann kann tun und lassen, was er will, das Publikum will ihn überschätzen.

Franz Josef Jung (CDU): In jeder Armee gibt es welche, die nicht so gut mit dem Gewehr umgehen können. Zwei linke Hände, gern mal ein Kommunikationsproblem, und dann kommt auch noch öfters Pech dazu. Jedenfalls ist bei solchen Leuten die Gefahr groß, dass Schüsse nach hinten losgehen und Deckung angesagt ist. Ob Afghanistan, Libanon oder Piratenjagd - immer dann, wenn der 60-Jährige sich schützend vor die Truppe stellte, wurde es für die politisch eng.

Ursula von der Leyen (CDU): Sieben Kinder zu Hause und dann auch noch vier Jahre lang "Mutter der Nation" - die 50-Jährige hatte gut zu tun. Von der Leyen revolutionierte die CDU-Familienpolitik geradezu. Dass sie sich alter SPD-Konzepte bediente - siehe Elterngeld - wusste sie dabei gut zu verbergen. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung scheint sich ihr Anspruch allerdings erschöpft zu haben. Ihr Wechsel in ein anderes Ressort wäre ratsam, falls die CDU weiter regiert.

Thomas de Maiziere (CDU): Der 55-Jährige Kanzleramtsminister ist kompetent und sympathisch. Er kennt sich auch in den kleinsten Details aus. Bei internen Konfliktfällen holte de Maiziere die Minister oder Staatssekretäre an einen Tisch. Als Kanzleramtschef war er der Libero, also der "Ausputzer" in Angela Merkels Regierung und damit ein interner Organisator der Macht. Größere Fehler sind nicht bekanntgeworden. Könnte sich mal an einem richtigen Ministerium versuchen.

Angela Merkel (CDU): Gemessen daran, dass ihre Macht in einer Großen Koalition sehr beschränkt war, hat die Kanzlerin daraus das Maximale für sich herausgeholt. Erfolge blieben automatisch an ihr hängen, und wenn nicht, half sie nach. Die Kehrseite: Konflikte mied sie. Risiko ist ihr Spiel nicht. Sie moderiert, und das sehr geschickt. Auch auf der internationalen Bühne. Die Deutschen fühlen sich mit ihr wohl. Sie sollte sich mit ihren 55 Jahren aber nicht zu oft mit Adenauer vergleichen. Das macht alt.

Annette Schavan (CDU): Andere verstanden es immer, trotz fehlender Zuständigkeit die Länder anzutreiben; die Bildungsministerin nicht. Dank der Föderalismusreform wurde dem Bund auch noch die letzte Gestaltungsmasse genommen. Zuletzt hat die 54-Jährige versucht, auffälliger zu werden, mit Forderungen nach früherer Einschulung oder einem Raumfahrtprogramm. Aber so ist das nun mal in der Schule, wer zu spät den Finger hebt, den bestraft der Lehrer:

Wolfgang Schäuble (CDU): Fühlte sich als elder statesman im Kabinett, was angesichts seiner langen Erfahrung auch in Ordnung geht. Leider kombinierte er das als Innenminister nicht immer mit der Eigenschaft der Weisheit. Man erinnere nur an die penetrante Forderung, die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen. Schoss oft über das Ziel hinaus. Zahlreiche Einschränkungen von Bürgerrechten wurden vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Nur weil er morgen 67 Jahre alt wird, noch:

Ulla Schmidt (SPD): Wenn Ärzte, Pharmalobbyisten oder Patienten schlecht träumen, dann erscheint ihnen Ulla Schmidt. Die 60-jährige hat allen Beteiligten im Gesundheitswesen die Zähne gezeigt - und das ist gut so. Eigentlich könnte sie stolz auf die Abneigung gegen sich sein, zeigt es doch, dass sie etwas bewegt hat. Wenn sich nicht neuerdings in die miesen Umfragewerte das Thema Dienstwagen geschlichen hätte. Einen solchen Fehler darf sich Eine gewiss nicht leisten: Die Gesundheitsministerin. Dafür:

Olaf Scholz (SPD): Listig suchte er immer wieder nach Lücken, um der Union mehr Mindestlöhne abzutrotzen - und fand sie. Der 51-jährige Fachjurist für Arbeitsrecht genießt das Vertrauen auch der Gewerkschaften. Scholz wäre als ausgezeichneter Taktiker im Oppositionsfall für die SPD auch eine Alternative als Fraktionschef. Aber nur, wenn er sich nicht wieder - siehe außerordentliche Rentenerhöhung - leichtfertig an der Rentenformel vergreift. Dafür Abwertung:

Peer Steinbrück (SPD): Machtbewusst, intelligent, ironisch, zuweilen auch überheblich. Der 62-Jährige gehörte vor allem wegen seines Krisenmanagements zu den Schwergewichten in der Regierung. Sein großes Ziel, endlich wieder einen Bundeshaushalt ohne neue Kredite zu präsentieren, aber scheiterte. Und zwar nicht nur an der Rezession, sondern auch an mangelnder Ausgabendisziplin. Am Ende geht Steinbrück als neuer Schuldenkönig in die Geschichte ein.

Frank-Walter Steinmeier (SPD): Bedächtig, ruhig, entschlossen. So hat man den Außenminister in vielen Krisensituationen erlebt. Das Amt empfanden die Deutschen bei ihm gut aufgehoben. "Seine Effizienz" nannte man den heute 53-jährigen, als er unter Gerhard Schröder die Regierungszentrale leitete und die Agenda 2010 entwickelte. Und jetzt macht er sich gar nicht schlecht als Rampensau. In vier Jahren vom Beamten zum Außenminister zum Kanzlerkandidaten. Eine Rakete.

Wolfgang Tiefensee (SPD): Der Spitzname "Flachwasser" ist etwas ungerecht. Der Minister für Verkehr, Bau und Aufbau Ost kann immerhin den Masterplan Güterverkehr, mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur oder die Aufstockung des CO{-2}-Sanierungsprogramms auf der Habenseite verbuchen. Doch beim wichtigsten Thema überhaupt, dem Börsengang der Bahn, scheiterte der 54-Jährige komplett - an sich selbst und an seiner Partei.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Miss Entwicklungshilfe hat es leise, aber beharrlich geschafft, die Ausgaben für die dritte Welt von 3,5 Milliarden Euro im Jahr 1998 auf heute 5,8 Milliarden Euro zu steigern. Aber, und das ist die Kehrseite, niemand merkt es. "HWZ" regt niemanden an, fasziniert nicht, provoziert nicht. Das Ressort hat nach elf Jahren frischen Wind verdient und wird ihn wohl auch bekommen, denn die einst als Juso-Chefin gestartete "rote Heidi" wird bald 66.

Brigitte Zypries (SPD): Die Justizministerin hat in den sieben Jahren ihrer Amtszeit pragmatisch agiert: Mehr Rechte für Scheidungskinder, für Stalking-Opfer, für Bahnkunden oder besserer Schutz gegen Telefonwerbung. Dem Unions-Hardliner Wolfgang Schäuble bot die 55-Jährige unbeirrt die Stirn, erinnert sei an das BKA-Gesetz und die Online-Durchsuchung. Aber: In den vergangenen vier Jahren endeten viele Auseinandersetzungen in der Rechtspolitik vor dem Bundesverfassungsgericht.

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