Flash-Mobbing: Hauptsache sinnlos

TRIER. Sie treffen sich auf Straßen, Plätzen oder in Parks zu skurrilen Aktionen, die eins gemeinsam haben: sie ergeben keinerlei Sinn. "Flash Mobber" haben in den vergangenen Monaten Passanten auf der halben Welt verwirrt. Jetzt hat das Phänomen die Region erreicht.

Nein, nicht alles im Leben hat einen Sinn. Und das ist gut so. Finden jedenfalls die Zeitgenossen, die im Entengang durch einen Park watscheln oder sich mitten in der Nacht treffen, um Sonnenbrillen aufzusetzen und eine Minute lang gemeinsam zu husten. "Flash Mob" heißt das Phänomen, und die Bezeichnung, die etwa "Blitzmeute" bedeutet, lässt erahnen, woher es stammt: aus den USA. Längst ist der Flash Mob aber über den viel zitierten großen Teich geschwappt, hat über größere Ströme London, Paris und Berlin erreicht; kleinere Flüsse haben ihn bis in die Provinz gespült - nach Lothringen, Ligurien, Tirol. Und jetzt sogar in die Region Trier. Fast zumindest. Aber das ist eine längere Geschichte.Sie beginnt, wie alle Flash Mobs, im Internet. Dort verabreden sich Leute, die sich nicht kennen, zu skurrilen Aktionen, die scheinbar spontan entstehen, sich so schnell auflösen, wie sie entstanden und vor allem eins gemeinsam haben: Sie ergeben keinerlei Sinn. In Trier trafen sich Flashmobber an einem Samstagmittag auf dem Hauptmarkt. Die im Internet getroffene Verabredung war klar: Punkt 13.20 Uhr zeigt jemand auf den blinden Ritter an der Steipe und ruft erschrocken: "Um Gottes willen!" Die versammelten Mobber steigen ein, zeigen auf den Ritter und bekunden lauthals ihr Entsetzen. Wird er sich in die Tiefe stürzen?Um 13.21 Uhr dann der Ausruf "Er ist nicht gesprungen!", Erleichterung in den Gesichtern der Flashmobber, ein kurzer gegenseitiger Applaus - und schon stiebt die Meute auseinander - Soweit der Plan. Verabredeter Tag, Hauptmarkt, 13.18 Uhr. Die Spannung steigt. 13.19 Uhr. Verstohlene Blicke auf die Uhr von St. Gangolf. 13.20 Uhr. 13.20 Uhr! Was ist los? Warum geschieht nichts? 13.21 Uhr. Business as usual, alles wie gewohnt. Was ist aus dem Trierer Flash Mob geworden? "Es waren jede Menge Mobber anwesend", heißt es später im Internet, "aber alle haben auf etwas gewartet, das jeder selber hätte tun sollen." Trier ist eben doch nicht New York, Chicago oder Berlin Auffallen, provozieren, die Ordnung stören

Was aber steckt hinter den seltsam-sinnfreien Flash Mobs, die in den vergangenen Monaten überall in der Republik Passanten vor Rätsel gestellt haben? "Ein internationales Jugendphänomen", sagt Waldemar Vogelgesang, Soziologe an der Universität Trier. "Die Akteure wollen auffallen, provozieren, in spielerischer Form die öffentliche Ordnung stören. Flash Mobs haben Event-Charakter, einen spielerischen Moment, etwas Skurriles, sie erinnern an Aktionskunst." Eine Rolle spielt nach Ansicht des Experten auch ein kurzzeitiges Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Akteuren und die Begeisterung über die Möglichkeiten, die das Internet bietet. Und schließlich: "Wichtig ist Anonymität. Deshalb sind Flash Mobs eher ein großstädtisches Phänomen."Wie lange wird es dauern, bis sich dieser Trend totgelaufen hat - oder wird das Phänomen Generationen prägen wie die Punk-Kultur, zu der Vogelgesang Parallelen zieht? "Ich sehe zwei verschiedene Szenarien", sagt der Jugendforscher. "Die Flash-Mobs könnten im Laufe der Zeit instrumentalisiert werden, zum Beispiel durch eine Kampagne gegen eine bestimmte Person." Die andere Möglichkeit: "Sobald sich etwas wiederholt, lässt der Reiz nach. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich um eine Mode handelt, die ihr eigener Totengräber ist, indem sie zum Massenphänomen wird." Einiges im Leben macht eben doch Sinn.

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