Fluch und Segen der modernen Medizin

Wann gibt es endlich ein Gesetz mit klaren Regelungen für Patientenverfügungen für den Fall, dass Schwerkranke keine medizinische Behandlung mehr wünschen? Seit gestern liegt ein neuer Entwurf auf dem Tisch.

Berlin. Durch die moderne Medizin kann der Mensch immer länger leben. Seit 1930 hat sich das durchschnittliche Lebensalter um rund 20 Jahre erhöht. Viele Menschen empfinden den medizinischen Fortschritt allerdings auch als Fluch, wenn sie sich vorstellen, womöglich über Jahre an lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen zu sein, bevor sie sterben. Um dies zu verhindern, schreiben sie Patientenverfügungen, in denen für bestimmte Lebenslagen eine zwangsweise Ernährung oder Wiederbelebungsmaßnahmen ausgeschlossen werden.

Rund acht Millionen solcher Erklärungen soll es bereits geben. Das Problem: Der Betroffene kann sich nicht sicher sein, ob sein Wille auch vom Arzt befolgt wird. Denn bislang gibt es dafür nur richterliche Urteile, die breit interpretierbar sind. Der Bundestag bemüht sich seit fünf Jahren um eine gesetzliche Regelung. Den Dissens über die Frage, ob der Mensch über seinen Tod selbst entscheiden darf oder der Staat das Leben auch gegen den Willen des Patienten schützen muss, konnte aber auch das Parlament nicht wegdiskutieren. Nun hat eine Gruppe von Abgeordneten, darunter Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sowie die grüne Politikerin Katrin Göring-Eckardt und der Sozialdemokrat Rene Röspel, einen neuen Anlauf für eine einvernehmliche Lösung gestartet. Ihr gestern präsentierter Gesetzentwurf ist die dritte Vorlage, die jetzt unter den Abgeordneten kursiert.

Nach den Vorstellungen einer kleineren Gruppe um den CSU-Gesundheitsexperten Wolfgang Zöller genügt schon eine mündliche Willensbekundung, um dem Patienten gerecht zu werden. Auch im Gesetzentwurf der Gruppe um den SPD-Rechtspolitiker Joachim Stünker, über den der Bundestag bereits vor der Sommerpause debattierte, erhält der Betroffene ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht. Das Papier macht zum Beispiel keinen Unterschied, ob ein Patient heilbar oder irreversibel erkrankt ist.

Bosbach und seinen Kollegen sind beide Entwürfe zu liberal. Ihre Vorlage zielt auf die besondere Situation, in der ein Patient das Bewusstsein verloren hat und deshalb keine eigene Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der medizinischen Behandlung mehr treffen kann. Der Entwurf unterscheidet dazu zwischen zwei Patientenverfügungen. In der einfachen Willenserklärung ist der Wunsch nach einem Behandlungsabbruch nur verbindlich, wenn eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder der Patient praktisch keine Chance mehr hat, sein Bewusstsein wieder zu erlangen. Die qualifizierte Patientenverfügung gegen lebensverlängernde Maßnahmen soll indes für jedes Krankheitsstadium gelten, also auch dann, wenn der Patient noch heilbar wäre. Voraussetzung ist aber, dass der Betroffene vor Abfassung der Willenserklärung durch einen Arzt beraten wurde. Zum Nachweis ist eine notarielle Beurkundung der Patientenverfügung erforderlich. Obendrein darf eine solche Verfügung nicht älter als fünf Jahre sein. Sie müsste also regelmäßig erneuert werden. Nach Einschätzung Bosbachs könnte sich das Parlament noch in diesem Jahr mit dem Gesetzentwurf befassen. Ein Beschluss sei aber erst im kommenden Jahr zu erwarten. Für den Entwurf müssen die Initiatoren noch genügend Unterschriften sammeln.

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