Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

Trier · Auf unserer Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte gilt heute das Augenmerk der "neolithischen Revolution": Aus Jägern und Sammlern werden sesshafte Gemeinschaften von Bauern und Handwerkern.

Zehntausende Jahre hindurch fanden die frühen Menschen Unterkunft nur in Erd- oder Felshöhlen, in einfachsten Unterständen aus Tierhaut, Astwerk, Blättern, Gräsern. Sie lebten einzig von dem, was die umgebende Natur ihnen bot: jagdbares Wild und wilde Früchte, Wurzeln, Nüsse, Samen. Das Dasein war schwierig und sehr gefährlich in jenen Epochen der Jäger und Sammler. Kaum einer von ihnen wurde auch nur 35 Jahre alt. Und jede Höhle, die sie bezogen, war eine Wohnstätte auf Zeit. Sobald die nahen Jagdgründe nichts mehr hergaben oder das Wetter zu schlecht wurde, hieß es: weiterziehen.
Kulturgeschichte der Menschheit



Diese frühen Gemeinschaften waren klein, umfassten selten mehr als drei bis vier Dutzend Köpfe. Doch sie kannten bereits einfache Formen der Arbeitsteilung. Sache der Männer war die Jagd und gegebenenfalls der Kampf gegen äußere Feinde, seien es Raubtiere oder andere Menschengruppen. Das Sammeln der Früchte fiel in die Zuständigkeit der Frauen. Es gibt freilich Vermutungen, dass an der Jagd auch junge Frauen teilnahmen und dass beispielsweise innerhalb einer Jagdgruppe die Aufgaben nach Erfahrung und individuellem Geschick verteilt waren.

Leben ändert sich völlig:
Vor 12 000 bis 10 000 Jahren - im sogenannten Neolithikum, der Jungsteinzeit - setzte dann eine Entwicklung ein, die das Leben unserer fernen Vorfahren völlig verändern sollte. Zugleich schuf sie die Grundlage dafür, dass nachher überhaupt Hochkulturen entstehen konnten: Die Menschen wurden sesshaft. Nicht, dass plötzlich die Idee im Raum gestanden hätte: "Wir haben genug vom mühseligen Herumwandern, Jagen und Sammeln." Auch der Prozess der Sesshaftwerdung erstreckte sich über Jahrtausende, vollzog sich in verschiedenen Weltgegenden auf sehr unterschiedliche Weise und durchaus nicht gleichzeitig. Gemeinschaften von Jägern und Sammlern gab es noch bis in die Neuzeit, vereinzelt bis ins 20. Jahrhundert; man denke an die Indianer Nord- und Südamerikas.

Start im Mittelmeerraum:
Die ersten Schritte in Richtung jungsteinzeitlicher Sesshaftigkeit gab es wohl im östlichen Mittelmeerraum, in den Gebieten der heutigen Länder Israel, Palästina, Libanon, Syrien, Irak. Zeitversetzt folgten China, Mittelamerika, Afrika. Was aber bedeutet "Sesshaftigkeit" eigentlich? Im Zentrum steht die Veränderung der Nahrungsmittelbeschaffung: weg vom Jagen und Sammeln, hin zur landwirtschaftlichen Produktion, also zu Viehzucht und Ackerbau.

Lebende Vorratskammer:
Die Vorteile der Sesshaftigkeit für die Nahrungsversorgung liegen auf der Hand: Mit der Domestizierung - der Verwandlung vormaliger Wildtiere zu Haus- und Nutztieren durch Einhegung und systematische Umzüchtung - wurden die Menschen unabhängig von den Unbilden und Zufällen der Jagd. Nutztiere auf der Weide oder im Stall waren lebende Vorratskammern, zumindest solange es genug Futter gab. Der Ackerbau lieferte Früchte, insbesondere lagerbares Getreide, in bis dahin nichtgekannten Mengen. Automatische Folge war ein sprunghaftes Anwachsen der Bevölkerungszahl.

Erfindung des Rads:
Mit dem Sesshaftwerden gingen vielerlei Entwicklungen einher. Drei der wichtigsten waren: die Herausbildung fortgeschrittenen Werkzeuges und Hausrates; neue Formen des Wohnens und Zusammenlebens; Ausbreitung und Verfestigung herrschaftlicher Strukturen. Was die Werkzeuge angeht, fallen in die Epoche der neolithischen Revolution so außerordentliche Erfindungen wie das geschliffene Steinbeil mit Griff, der Holzpflug, Spindel und Webstuhl, Gefäße aus gebranntem Ton oder das Rad. Manche dieser Gerätschaften tauchten an weit voneinander entfernten Ecken der Welt fast zeitgleich auf. Das Rad beispielsweise im Alpenvorland, im Kaukasus, im Nahen Osten und am Indus. Natürlich sind das aus heutiger Sicht primitive Gerätschaften. Doch für den damaligen Alltagsnutzen stellten sie eine das Leben völlig verändernde technische Umwälzung dar. Wobei man nicht vergessen sollte: Viele der seinerzeit erstmals genutzten Technikprinzipien sind Grundlage auch modernster Maschinen geblieben.

Baufortschritte:

Ein ganz wichtiges Merkmal der sich entwickelnden Sesshaftigkeit waren Fortschritte im Bau von Behausungen. Schluss mit Höhlen und Fellzelten. Es entstanden Hütten, Häuser, Gehöfte aus Holz und Lehm, teils aus Lehmziegeln. An süddeutschen Seeufern, aber auch entlang des Yangtse in China wurden auf meterhohen Stelzen Pfahlbauten errichtet. Die Menschen hatten schon zuvor immer in Gemeinschaften gelebt, Einzelgänger oder zu kleine Gruppen konnten nicht lange überleben. Mit der Sesshaftigkeit wurden die Gemeinschaften größer, entstanden aus Zusammenschlüssen von Haushalten und Großfamilien feste Dörfer, vereinzelt erste Städte.

Weiter Weg zur Kleinfamilie:
Bis allerdings die heute übliche Kleinfamilie zur vorherrschenden Lebensform wurde, sollten noch viele Generationen vergehen. Bis auf Weiteres prägten Haushalt, Großfamilie, Nachbarschaft und Clan die sesshaft gewordene Ortsgemeinschaft. Onkel, Tanten, Großeltern, Gesellen, Mägde, Knechte gehörten mit zum Haushalt. Solche Formen des Zusammenlebens und -arbeitens in größeren Kollektiven unter einem Dach existierten vor allem bei Landwirtschaft und Handwerk auch in vielen mitteleuropäischen Landstrichen bis ins 19. und teils weit ins 20. Jahrhundert. Im Laufe der Jungsteinzeit schritt zwar die Arbeitsteilung voran, entwickelten sich zusehends Handel und spezialisierte Handwerke. Dennoch mussten die Menschen das zum (Über-)Leben Nötige zum großen Teil noch selbst herstellen. Was spätere Epochen Zug um Zug auslagerten, fand damals noch daheim statt - Krankenversorgung, Altenpflege und Kindererziehung inklusive.

Frühe Rangfolge:
Es gab höchstwahrscheinlich bereits bei den altsteinzeitlichen Menschengruppen eine Art Rangfolge. Einfache Strukturen der Herrschaft, die vor allem an Kraft, Geschicklichkeit und Klugheit bei der Jagd gebunden waren. Weshalb wohl selten jemand "Chef" auf Lebenszeit war. Nach dem Soziologen Meinhard Miegel ist Herrschaft ein Ergebnis wechselseitiger Abhängigkeit. Herrschen kann nur, wer seinen Mitmenschen auch etwas zu geben hat: beispielsweise besonderes Talent beim Aufspüren von Wild. In späteren Epochen mögen es Ackerflächen zur Pacht, Vorräte, Kredite, Infrastruktur, militärischer Schutz und andere Dinge sein. Deutlich wird bei fortgeschrittener Herrschaft allerdings auch: Was der Herrscher den Untertanen gibt, hat er ihnen zumeist vorher in dieser oder jener Form genommen. Und leider ist die Geschichte voll von Beispielen, wo den Untertanen wesentlich mehr genommen wurde, als ihnen die Herrscher zurückgaben.

Streben nach Grundbesitz:
Mit der Sesshaftigkeit kam ein für das häusliche wie allgemeine Machtgefüge neuer, bedeutsamer Faktor ins Spiel: der Besitz an Grund und Boden sowie bald vielerorts seine Weitergabe entlang der männlichen Erblinie. Der besitzende Mann wurde zum Patriarchen, zum "Herrn im Haus", nachher auch zum Herrn der öffentlichen Angelegenheiten. Und wo blieb die Frau? Ihre Stellung entwickelte sich von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Das bei vielen Naturvölkern durchaus nicht seltene Matriarchat verschwand zusehends. Überwiegend stand die Frau von da an bis in die Neuzeit hinein unter der Herrschaft des Mannes. Die Rollenverteilung war klar. Allerdings: Da auch unter den Bedingungen der Sesshaftigkeit ständig hart ums Überleben gerungen werden musste, waren Mann und Frau existenziell aufeinander angewiesen.
Die nächste Folge: Ein etwas anderer Blick auf Familie
Der Begriff "neolithische Revolution" wurde vom Altertumswissenschaftler Vere Gordon Childe 1936 eingeführt. Der Amerikaner benutzte ihn in Analogie zum Begriff der "industriellen Revolution", um den damit verbundenen grundlegenden zivilisatorischen Einschnitt zu charakterisieren. "Neolithische Revolution" bezeichnet den - wohl auch durch Klimaveränderungen ausgelösten - Übergang von der "aneignenden Lebensweise" des Jagens und Sammelns der Alt- und Mittelsteinzeit (Paläo- und Mesolithikum) zur produktiven Wirtschaftsform u.a. von Ackerbau und Viehzucht der Jungsteinzeit (Neolithikum). So populär Childes Begriff seit seiner Einführung geworden ist, bleibt er unter Fachleuten doch umstritten. Die natürlichen Zyklen von Saat, Wachstum und Ernte, von Zeugung und Geburt wurden für die jungen Kulturen der Ackerbauern und Viehzüchter zum bestimmenden Faktor. Der beeinflusste auch wesentlich die religiösen Vorstellungen der jungsteinzeitlichen Menschen. Fruchtbarkeitssymbole tauchten überall auf. Von der Verehrung der "Großen Mutter" als fruchtbarer, die Natur durchdringender weiblicher Wesenheit zeugen üppige Frauenstatuetten mit oft überdimensionierten Geschlechtsmerkmalen. Ein weiterer Wesenszug der neuen produktiven Kulturen war Vorratshaltung. Erst lagerten die Menschen Getreide in Erdgruben; ab etwa 6500 vor Christus setzte der Siegeszug gebrannter Tongefäße ein. Der Text dieser Seite entstand auf Basis eines Vortrages, den Barbara Abigt, Geschäftsführerin der Marienburger Seminare, im Rahmen der Akademie gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck in der Zeitung haben Andrea Mertes und Andreas Pecht übernommen. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V., Tel. 02661/6702, email: mail@marienberger- akademie.de Die TV-Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" ist eine Kooperation der Marienberger Seminare mit mehreren Regionalzeitungen. Sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. red

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