Freude im Hangar über den Absturz

BERLIN. Als "Super-Ergebnis" haben die Grünen das Abschneiden ihrer Partei bewertet. "Wir wollten diese Wahl nicht, das war Wahlkampf unter schwierigsten Bedingungen", sagte die Grünen-Chefin Claudia Roth. "Jetzt sind die anderen dran und müssen sagen, wie es weiter geht."

"Das Ergebnis ist ein Votum gegen den totalen Kapitalismus", sagt Marion Jentsch aus Ost-Berlin. "Unser wichtigstes Ziel war, Schwarz-Gelb zu verhindern - und das haben wir geschafft." Jentsch steht inmitten einer Menschenmasse. Mit geröteten Wangen und Brille schmiegt sie sich fest an ihren Freund. Die beiden sind am Sonntagabend zu der Wahlkundgebung der Grünen in den Flughafen Tempelhof gekommen. Dort in Hangar zwei wollen sie sich die ersten Hochrechnungen auf der Großleinwand anschauen.Als der ARD-Moderator kurz nach sechs Uhr die erste Prognose ankündigt, drängen sich die Menschen vor der Leinwand zusammen. Die Spannung steigt, schließlich geht es für die Öko-Partei um die Frage: Koalition oder Opposition. In den vergangenen Wochen waren sogar Stimmen laut geworden, die den Grünen ein Ergebnis unter fünf Prozent zugetraut hätten, also ein Ergebnis, mit dem sie nicht einmal mehr in den Bundestag gekommen wären.

Die Balken der Grafik schnellen in die Höhe. Erst der rote Balken der SPD. Dann wächst der schwarze Balken der Union nach oben. Als er bei 35,5 Prozent stehen bleibt, sind die Menschen in der proppe-vollen Halle des Flughafens nicht mehr zu halten. Sie schreien und springen vor Freude in die Höhe. Die Stimmung in der Flughalle kocht, es wird immer heißer, die Freude über "den Absturz der CDU", wie es einer in der Menge bezeichnet, kennt keine Grenzen. "Das ist ja schlechter als 1998 bei Edmund Stoiber", sagt ein älterer Mann in ausgewaschenem T-Shirt und Pferdeschwanz. "Wer hätte das gedacht!"

Dann wächst der grüne Balken nach oben. Es ist still. Danach Jubel: "Wir haben unser Ergebnis gehalten", sagt ein Parteimitglied. Die Hochrechnungen deuten auf mehr als acht Prozent hin, "damit können wir zufrieden sein."

Justus Jasper steht neben seinen Parteifreunden und schaut auf die Leinwand. "Es ist natürlich sehr schade, dass es mit der rot-grünen Koalition nicht weiter geht", sagt er und nimmt die Hände aus seinem Parka. "Aber wir Grünen sind so realistisch, wir werden uns auch in der Opposition zurecht finden, schließlich kommen wir ja auch aus der Opposition." Was ihn "geschockt" habe, sei das gute Ergebnis der FDP, die bei den ersten Prognosen bei mehr als zehn Prozent liegen. Eine Zusammenarbeit mit der FDP schließe er aus. "Mit den Liberalen läuft erst mal gar nichts, und da wird auch in Zukunft nichts laufen."

Gegen halb acht ist kein Durchkommen mehr im Hangar zwei. Die Menschen haben sich um die Bühne geschart, um dort auf die grünen Spitzenpolitiker zu warten. Um 18.30 Uhr betreten die Parteichefs Claudia Roth und Reinhard Bütikofer die Bühne. Nach sekundenlangem Jubel der Menge ergreift Roth das Wort. "Es hat sich gelohnt, bis zur letzten Minute zu kämpfen." Ihre Stimme scheint sich zu überschlagen. "Wir haben das erste Wahlziel erreicht, wir wollten ein gutes Ergebnis. Das zweite Ziel haben wir leider nicht geschafft, wir wollten die Mehrheit mit Rot-Grün." Jetzt sei Frau Merkel dran, schmettert Roth der Menge entgegen.

"Politik der sozialen Kälte hat sich nicht durchgesetzt"

Bütikofer zeigt sich mit dem vorläufigen Ergebnis zufrieden: "Was wir bewiesen haben, ist, dass wir ein Garant für soziale und ökologische Themen sind. Und die Mehrheit hat bewiesen, dass sie nicht von Frau Merkel durchregiert werden will." Auch Außenminister Joschka Fischer weist den Grünen künftig eine Rolle in der Opposition zu. Für die Bildung einer Koalition seien die Großen am Zug, sagt Fischer. Er wertet den Ausgang der Bundestagswahl als "sehr gutes Ergebnis" für die Grünen. Zwar habe Rot-Grün keine Mehrheit, aber die "Politik der sozialen Kälte" habe sich nicht durchsetzen können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort