Fromme Wünsche

BERLIN. Peer Steinbrück hat einen Weihnachtswunsch: Seine Kabinettskollegen sollen sich mit Wünschen zurückhalten. "Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mit wachsender Skepsis den Drang von einigen sehe, in der Öffentlichkeit nur Vorschläge zu machen, die diesen Bundeshaushalt weiter belasten", zürnte der Finanzminister gestern im ZDF.

Keine Frage, dem Kassenwart der Nation bläst der Wind immer stärker ins Gesicht. Bis eben noch galt der kühle Nordrhein-Westfale als Idealbesetzung, um die zerrütteten Finanzen des Bundes endlich wieder auf Vordermann zu bringen. Doch seit es mit dem Sparen konkret wird, drohen herbe Rückschläge. Dabei plant die große Koalition für das kommende Jahr bereits mit einer Rekordneuverschuldung von über 41 Milliarden Euro. Nun könnte es noch schlimmer kommen. Und das wiederum torpediert Steinbrücks erklärtes Ziel, den europäischen Stabilitätspakt wenigstens ab 2007 wieder einzuhalten. Kommunen sind erfreut

Als "größter anzunehmender Unfall" wird im Finanzministerium die Niederlage bei der Hartz-IV-Reform beklagt. Vor knapp zwei Wochen hatten sich die schwarz-roten Koalitionsspitzen darauf verständigt, den Anteil des Bundes bei den Mietkosten für Langzeitarbeitslose unverändert beizubehalten. Das freut zwar die Kommunen. Aber im Bundesetat tut sich ein unverhofftes Loch von 1,3 Milliarden Euro auf. Steinbrück selbst wurde gar nicht erst gefragt. Kein Wunder, dass sich viele Koalitionäre ermutigt fühlten, ihre Begehrlichkeiten ebenfalls lautstark zu artikulieren. So pocht etwa Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf eine höhere steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten als Steinbrück. Dem Finanzminister erscheint ein Betrag von 1000 Euro gerade noch verkraftbar. Von der Leyen will mindestens 500 Euro mehr. Die Folge: Zu den Ausfällen in Sachen Mietkosten käme ein weiteres Loch im Umfang von wenigstens einer halben Milliarde Euro hinzu. Auch Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) sucht die Sparanstrengungen Steinbrücks zu unterlaufen. Fiskalische Vergünstigungen bei Handwerker-Rechnungen sind in der Koalition zwar ausgemachte Sache. Aber der Vizekanzler will die steuerliche Absetzbarkeit nicht wie geplant nur auf die Arbeitskosten konzentrieren, sondern auch auf die Materialkosten. Das gefällt den Handwerkern, weil sie sich davon mehr Aufträge erwarten. Doch mit den anfänglichen Steuerausfällen müsste Steinbrück zurechtkommen. Auch in den Koalitionsfraktionen gedeiht ein Strauß bunter Wünsche. Die Sozialpolitiker wollen verhindern, dass der Kassenwart den Bundeszuschuss für die Rentenversicherung um jene 800 Millionen Euro kürzt, die die verabredete Ausweitung der Beitragspflicht auf Feiertags- und Nachtzuschläge einbringen soll. Den Innenpolitikern geht es um das Wohl der Beamten, wenn sie gegen Streichungen beim Weihnachtsgeld und bei bestimmten Sachleistungen Front machen. Die Verkehrsexperten wollen entgegen Steinbrücks Plänen den Nahverkehr weiter subventionieren. Und die Umweltpolitiker möchten die Steuerbefreiung für Biodiesel erhalten. Nur auf die Finanzexperten kann der Kassenwart zählen. "Es ist völlig unerheblich, welcher Minister welches Parteibuch besitzt, es können nur die Forderungen genehmigt werden, die auch bezahlbar sind", meinte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Steffen Kampeter, gegenüber unserer Zeitung. Und sein SPD-Amtskollege Carsten Schneider assistiert: "Wer mehr verlangt, muss auch sagen, wo das Geld herkommen soll." Ob Steinbrück weiter Federn lassen muss, ist einstweilen unklar. Wegen des Streits in der Koalition verschob das Kabinett gestern sämtliche steuerpolitische Entscheidungen ins neue Jahr. Am 9. und 10. Januar will die Regierung dann auf einer Klausurtagung Nägel mit Köpfen machen. Bis dahin hält sich offenbar auch die Bundeskanzlerin bedeckt. Angela Merkel forderte Steinbrück und von der Leyen salomonisch zu einem Kompromiss im Finanzstreit um die Kinderbetreuung auf. Den Haushalt für 2006 will die Minister-Riege übrigens am 22. Februar verabschieden. Bis dahin, prophezeien Insider, werde es noch viel "Schaulaufen" geben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort