Frontmann für ein Linksbündnis

BERLIN. Der frühere PDS-Vorsitzende Gregor Gysi tritt bei einer vorgezogenen Bundestagswahl als Spitzenkandidat seiner Partei an.

Es ist schon eine ganze Weile her, dass sich Kameraleute und Fotografen im Karl-Liebknecht-Haus um die besten Plätze balgen mussten. Seit die Linkssozialisten bei der Bundestagswahl vor drei Jahren aus dem Parlament gekegelt wurden, fristet die Berliner PDS-Zentrale ein mediales Schattendasein. Das soll sich wieder ändern. Denn Gregor Gysi will es noch einmal wissen. Die Aussicht auf vorgezogene Wahlen und der Druck der Partei haben ihr Immer-Noch-Aushängeschild gestern dazu veranlasst, Farbe zu bekennen. "Ja, Gregor Gysi wird dabei sein, wenn wir in den Wahlkampf ziehen", nahm PDS-Chef Lothar Bisky im überfüllten Presse-Saal die Botschaft euphorisch vorweg. Der Spitzenkandidat neben ihm wirkte da eher nüchtern und angespannt. Nach Gysis Worten war die Entscheidung erst in der Nacht von Donnerstag auf Freitag gefallen. Das mochte etwas zu dramatisch klingen. Tatsache ist aber, dass sich der 57-Jährige Rechtsanwalt noch bis Mitte der Woche allerlei ärztlichen Tests unterziehen musste. Schließlich hat der PDS-Star mehrere Herzinfarkte und eine komplizierte Gehirnoperation hinter sich. "Ich darf und ich werde mich nicht überfordern", meinte Gysi fern seiner sonst üblichen Eitelkeiten. Ob das gelingt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Drei Bundestagswahlkämpfe hat Gysi schon als Spitzenkandidat für die PDS hinter sich. Wegen anhaltender Flügelkämpfe in der Partei zog er sich vor fünf Jahren vom Amt des Fraktionschefs zurück. Nach einem kurzen Intermezzo als Berliner Wirtschaftssenator, das wegen einer Bonusmeilen-Affäre unrühmlich endete, schien sich der gelernte Rinderzüchter vollends dem Privatleben zu widmen. Doch spätestens von da an ging es auch mit den Linksozialisten abwärts. Wenn der 57-jährige jetzt noch einmal den Hut in den Ring wirft, dann nicht nur deshalb, um die PDS vor einem erneuten Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zu bewahren und der "kritischen Ostsicht" zum Durchbruch zu verhelfen, die nach seiner Auffassung im Bundestag fehlt. "Besser noch für ein zu bildendes Linksbündnis" gehe er ins Rennen, stellte Gysi klar. Denn auch die PDS müsse sich "in ihrer Identität erweitern" und die "Probleme ganz Deutschlands glaubwürdiger und wirksamer artikulieren".Kein Vormarsch nach Westen

Möglich sei das nur, "wenn Linke aus den alten Bundesländern in viel größerer Zahl als bisher" hinzukämen. Zweifellos ist die immer wieder beschworene Westausdehnung der PDS gescheitert. Während die SED-Nachfolger in allen ostdeutschen Parlamenten über eine solide Basis verfügen und in zwei Ländern (Berlin und Mecklenburg-Vorpommern) sogar mitregieren, ist die alte Bundesrepublik nahezu eine PDS-freie Zone. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein kamen die Linkssozialisten zuletzt noch auf 0,8 Prozent. Vor zwei Wochen in Nordrhein-Westfalen waren es lediglich 0,9 Prozent. Dagegen konnte die neu gegründete WASG, eine "Wahlalternative" aus frustrierten West-Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, dort aus dem Stand 2,2 Prozent erzielen. Was liegt also näher, als die Kräfte für einen sicheren Einzug in den Bundestag zu bündeln, zumal sich auch noch Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine als Co-Zugpferd angeboten hat? Die Verhandlungen über die "historische Chance" sind zwar längst im Gange. Doch die Probleme werden offenbar nicht kleiner. Ein schneller Zusammenschluss unter Auflösung der alten Parteien ist bis zur vorgezogenen Wahl praktisch nicht mehr möglich und wird auch in der PDS dankend abgelehnt. Eine von der WASG favorisierte Dachpartei aus beiden Gruppierungen birgt dagegen wahlrechtliche Fallstricke. Und selbst offene Listen der PDS, gegen die sich die WASG sträubt, haben ihre Tücken. Würden sie etwa paritätisch mit Kandidaten beider Parteien besetzt, könnte der Bundeswahlleiter darin eine unzulässige Listenverbindung erkennen. "Ich kriege immer mehr juristische Standpunkte zu hören", klagte Parteichef Bisky. Daher werde es auch "keine risikofreie und verlustfreie Entscheidung geben". Die Zeit dafür drängt. Offenbar soll es in den nächsten zwei bis drei Tagen zu einer Lösung kommen. Gysi glaubt indes, dass die PDS auch alleine die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten wird.

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