Früher erziehen statt später bestrafen

MAINZ/TRIER. Zwischen Schuleschwänzen und Kriminalität besteht ein Zusammenhang - da sind sich die meisten Fachleute einig. Über die Konsequenzen daraus gehen die Meinungen jedoch auseinander. Dem Ruf nach härterem Durchgreifen setzen Experten Forderungen nach besserer Prävention entgegen.

Gezielte Polizei-Aktionen, höhere Bußgelder für Eltern: Vorschläge, wie die Zahl der Schulschwänzer reduziert werden könnte, kommen in regelmäßigen Abständen auf den Tisch. Der gestern verbreitete Vorschlag des Brandenburger Innenministers Jörg Schönbohm (CDU), Schulschwänzer mit elektronischen Fußfesseln zu überwachen, ist das jüngste Glied in einer langen Kette von Versuchen, dem Problem Jugendkriminalität mit harter Hand Herr zu werden. So hat Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) vor kurzem angeordnet, dass Lehrer sämtliche Straftaten an ihrer Schule der Polizei melden müssen. Und in Bayern werden Schwänzer von Polizisten aufgegriffen; die Beamten gehen an bekannte Treffpunkte oder werden auf Antrag der Schulbehörde tätig. Ein ähnliches Modell will Hessen Mitte November vorstellen. Uwe Konz, Jugend-Beauftragter bei der Polizeidirektion Trier, hält von diesen Vorstößen wenig. Mit der elektronischen Fußfessel könne man Schwänzer zwar aufspüren und zurück zur Schule bringen - dort aber störten sie entweder den Unterricht oder machten sich gleich wieder aus dem Staub. Ähnlich beurteilt er die Diskussionen, Polizei gegen Schulschwänzer einzusetzen. Auch vom niedersächsischen Weg hält Konz wenig: Die Rangelei auf dem Schulhof sei formaljuristisch eine Körperverletzung und müsse damit angezeigt werden. "Man sollte Schüler nicht gleich durch eine Anzeige kriminalisieren, sondern ihnen mit erzieherischen Maßnahmen klar machen: Das war nicht in Ordnung." Schulen hätten probate Mittel, mit solchen Situationen umzugehen, sagt Konz. Allerdings gebe es eine Schwelle, nach deren Überschreitung die Polizei eingeschaltet werden müsse. Überwiegend, berichtet der Polizist, kämen Schwänzer aus Haupt- und Sonderschulen. Wirkungsvoller als harte Strafen seien präventive Maßnahmen: "Die Verweigerer müssen wieder Lust an der Schule bekommen." Beim Verband Bildung und Erziehung in Mainz (VBE) teilt man im wesentlichen die Ansichten des Trierer Polizisten. Die Forderungen nach härterem Durchgreifen setzten erst an, wenn das Kind in den Brunnen gefallen sei, kritisiert VBE-Landesvorsitzender Johannes Müller. "Wir müssen in Grundschulen beginnen"

Müller pocht nicht nur auf mehr Prävention, sondern auch darauf, dass sie früher einsetzt: "Im achten oder neunten Schuljahr haben sich Handlungsweisen wie Schuleschwänzen manifestiert. Wir müssen in der Grundschule beginnen." Sein Vorschlag: Kinder aus schwierigen Familien teilweise dort herauszunehmen - etwa, indem man sie in Tagesgruppen schickt - und parallel die Eltern zu unterstützen. Der VBE-Vorsitzende ist überzeugt, bei umfassender Prävention werde der Ruf nach härterem Durchgreifen weitgehend überflüssig: "Wenn die Hälfte des Geldes, das für Resozialisierung ausgegeben wird, in Grundschulen und Kindergärten investiert würde, könnten wir vieles vermeiden, durch das wir heute Kleinkriminelle heranziehen." Polizist Konz warnt derweil davor, das Thema überzubewerten. "Fakt ist: Jugendkriminalität ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Aber es handelt sich überwiegend um Bagatelldelikte. Nur 7,5 Prozent der jungen Leute unter 21 Jahren fallen bei der Polizei überhaupt auf. Und 90 Prozent davon verüben eine oder zwei Straftaten und sind dann ,geheilt‘."

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