Frühstart in den Krieg

WASHINGTON. Der Krieg hat begonnen: In der Nacht zum Donnerstag hat US-Präsident George W. Bush den Befehl "Bomben auf Bagdad" gegeben. Sein erstes Ziel war, Iraks Diktator Saddam Hussein zu töten. Das gelang offenbar nicht.

Kurz bevor US-Präsident George W. Bush am Mittwochabend (Ortszeit) vor die Fernseh-Kameras tritt, gibt ein interner Monitor im Weißen Haus zufällig einigen Journalisten einen seltenen Einblick in die Seelenlage des Mannes, der wenige Stunden zuvor den Befehl zum zweiten Krieg in seiner Amtszeit erteilt hat: "Feels good" - "Ein gutes Gefühl", sagt Bush zu Mitarbeitern. Dazu reckt er triumphierend die geballte Faust. Der "Enthauptungsschlag", wie der Frühstart in den Krieg offiziell etikettiert wird, hat zu diesem Zeitpunkt längst stattgefunden. Er gilt dem irakischen Staatschef Saddam Hussein persönlich. Saddam, seine Söhne und die obersten irakischen Militärs gelten für die USA als legitime Kriegsziele, da sie Truppen befehligen und immer wieder in Uniform auftreten. Kurz vor vier Uhr nachmittags sucht CIA-Chef George Tenet den Präsidenten im Oval Office auf. Man glaube ziemlich sicher zu wissen, sagt Tenet, wo sich Saddam und vier hohe Offiziere in den nächsten Stunden aufhalten würden: in einem Bunker am Stadtrand Bagdads. Tenet drängt zur Eile. "Herr Präsident, das ist eine Chance, die so schnell nicht wiederkommen wird", sagt der CIA-Chef und blickt immer wieder demonstrativ auf die Uhr. Auch diesmal vergehen noch rund zweieinhalb Stunden bis zum Angriffsbefehl. George W. Bush lässt sich in allen Einzelheiten die Erkenntnisse schildern, diskutiert dann mit Beratern die Risiken und Optionen. Die CIA-Erkenntnisse drohen das sorgsam kalkulierte Kriegskonzept aus dem Takt zu bringen. Frühestens zum Wochenende wollte man eigentlich in einer koordinierten Offensive losschlagen. Dann, um 18.30 Uhr Ortszeit, unterzeichnet Bush den Angriffsbefehl und sagt: "Let‘s take him out" - "Erledigt ihn." Die kleine Runde ist sich einig geworden: Gelingt der Schlag gegen die irakische Führung, kann dies die Feindseligkeiten erheblich abkürzen und die Opferzahlen drastisch reduzieren. Wenig später haben die Piloten zweier Tarnkappenbomber vom Typ F-117 und die Feuerleitoffiziere auf vier US-Schiffen und zwei U-Booten im Persischen Golf und Roten Meer ihre Angriffskoordinaten vorliegen. Die Marschflugkörper müssen auf das neue Ziel umprogrammiert werden. Das verzögert den Einsatz um knapp drei Stunden. Als sich dann die Bomber Bagdad nähern, zischen zeitgleich 40 Marschflugkörper des Typ Tomahawk in den Nachthimmel. Die Sprengkörper sollen nicht nur durch das Dach des weitläufigen Gebäudekomplexes schlagen, in dem Saddam vermutet wird, sondern sich auch tief in den darunter liegenden Bunker bohren. Um 5.33 Uhr früh Ortszeit Bagdad wird der Süden der Stadt durch mehrere schwere Detonationen erschüttert. Propaganda-Schlachtfeld ist eröffnet

45 Minuten später steht US-Präsident George W. Bush im Weißen Haus vor den Kameras. Er spricht vier Minuten lang. Man habe gegen "ausgewählte Ziele" losgeschlagen, mehr als 35 Länder unterstützten in wachsender Zahl den Waffengang. Gleichzeitig lässt er die Tür für den Fall offen, dass die Offensive nicht so verläuft, wie es sich die Verantwortlichen vorstellen: "Der Krieg kann länger und schwieriger werden, als manche voraussagen." Mehrere Stunden später gibt es erste Indizien, dass das Kriegsglück George W. Bush in den ersten Stunden offenbar nicht hold gewesen ist. Ein Mann, vom irakischen Propagandaministerium als Saddam Hussein vorgestellt, richtet sich in Militäruniform an das irakische Volk, verurteilt das "schamlose Verbrechen" des "kleinen, bösen Bush" und kündigt einen "Heiligen Krieg" an. Ist es eine vorsorglich präparierte Aufzeichnung? Oder kam ein Doppelgänger Saddam Husseins zum Einsatz? Die US-Regierung wollte sich gestern noch nicht endgültig festlegen, man analysiere die vorliegenden Informationen noch. Widersprüchliche Meldungen verschiedener Quellen jagen einander, erhöhen die Konfusion. Auch die Opferzahlen des nächtlichen Angriffs schwanken von einem bis zu zehn Toten. Damit ist auch das Propaganda-Schlachtfeld eröffnet. Unabhängige Experten sind sich am Ende des Tages fast sicher: Saddam Hussein lebt. Videoaufnahmen eines Kabinettstreffens in Bagdad scheinen dies ebenfalls zu bestätigen. Was - in der bildhaften Sprache Bushs - die Schlange enthaupten sollte, könnte für den Diktator in Bagdad der erste Punktsieg im Duell der ungleichen Gegner sein. Schon im Golfkrieg 1991 bombardierten alliierte Flugzeuge mehr als 260 so genannte "Führungsziele", darunter Bunker, Kommandozentren und Bürogebäude. Doch Saddam entpuppte sich als Überlebenskünstler.

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