Frust und Frist

TRIER. Die Bundesländer sparen an Lehrerstellen und setzen dafür verstärkt auf Vertretungslehrer - auf Kosten der Bundesagentur für Arbeit.

Die Sommerferien stehen vor der Tür: Doch Sonja Schomann (Name geändert) freut sich trotz der vor ihr liegenden freien Tage nicht. Die 30-Jährige war Klassenlehrerin einer siebten Realschul-Klasse, hat eine Kollegin vertreten, die nach plötzlicher Krankheit vor einem Jahr ausfiel. Ob Sonja Schoman nach den Ferien ihre Klasse wieder sehen wird, weiß sie nicht. Noch nicht einmal, ob sie überhaupt wieder eine Anstellung findet. Ihr befristeter Vertrag ist am letzten Schultag ausgelaufen. Eine Woche vor Schulbeginn wird sie erfahren, ob sie wieder unterrichten darf. Ob das an der gleichen Schule sein wird, oder ob sie weiter fahren muss, kann ihr bislang noch niemand sagen. Bis dahin ist Sonja Schomann arbeitslos, muss zum Arbeitsamt gehen. Und das zum zweiten Mal. "In den vergangenen Sommerferien war es genau das Gleiche", sagt sie. Lust auf Urlaub hat sie da nicht, zumal sie auch gar nicht wegfahren dürfte, weil sie sich - wie jeder Arbeitslose - ständig melden muss und theoretisch immer vermittelbar sein müsste. Falls sie nach den Ferien wieder die selbe Lehrerin vertreten muss, zahlt das Land ihr rückwirkend das Gehalt für die Sommerferien, abzüglich des Arbeitslosengeldes. Falls die Pädgogin eine andere Stelle antreten muss, muss das Land ihr Gehalt nicht weiter zahlen. "Ich fühle mich wie eine billige Saisonarbeiterin", klagt die Lehrerin, die gerne eine feste Stelle hätte. Die Bundesländer sparen mit den günstigen Vertretungslehrern Millionen Euro. "Geld statt Stellen", nennt Nordrhein-Westfalen dieses Modell. 17 Millionen Euro werden dort für 2300 Vertretungslehrer investiert. In Hessen nimmt man zehn Millionen dafür in die Hand. Allemal billiger als unbefristete verbeamtete Lehrer einzustellen. Zumal die sechswöchigen Sommerferien ja aus dem Arbeitslosengeld bezahlt werden. Die Gewerkschaften protestieren schon lange gegen diese "Hire and Fire"-Mentalität. Auch Elternverbände beschweren sich, dass die Schüler immer häufiger von fachfremden Lehrern unterrichtet würden. Lehrer, die ein anderes Fach studiert haben, müssen häufig so genannte Randfächer wie Musik oder Religion unterrichten.So viele Schüler wie lange nicht mehr

Der Bedarf an Lehrern steigt. Schon heute fehlen 74 000 ausgebildete Pädagogen an deutschen Schulen, bis 2015 sollen es laut Schätzung der Kultusminister knapp 400 000 sein. In Rheinland-Pfalz beruft man sich darauf, dass man in den vergangenen fünf Jahren immerhin 8000 neue Lehrer eingestellt hat. Doch gleichzeitig ist auch die Zahl der Schüler deutlich gestiegen. Knapp 615 000 werden derzeit im Land unterrichtet, so viele wie seit den 70er-Jahren nicht mehr. Die Tatsache, dass jeweils zum Schulhalbjahr wieder neue Lehrer eingestellt werden müssen (im Februar 2002 waren es in Rheinland-Pfalz 383), zeigt, dass selbst mit Vertretungslehrern der Unterricht nur notdürftig aufrecht erhalten werden kann. Fälle wie Sonja Schomann sind keine Seltenheit. Manche Kollegen sind bereits seit fünf Jahren mit immer neuen Vertretungsverträgen beschäftigt. Einen Rechtsanspruch auf einen unbefristeten Vertrag haben Lehrer nicht. Solange es sachliche Gründe gibt, darf jeder Vertrag verlängert werden, zur Not bis zur Rente.

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