"Für Augenblicke sind wir bessere Menschen geworden"

NIEDERANVEN. Der Flug einer Fokker-50 der Luxair von Berlin nach Luxemburg endete am 6. November 2002 in einer Katastrophe. 20 Menschen starben bei dem Absturz. Die Gemeinde Niederanven (Luxemburg) hat zum ersten Jahrestag an der Absturzstelle eine Gedenkstätte errichtet und mit Angehörigen und Freunden der Opfer gedacht.

Ein eisiger Wind weht über das offene Feld. Vier Reisebusse fahren vor und halten an der Landstraße. Menschen steigen aus, fassen sich an den Händen, stützen sich gegenseitig. Wie in einem langen Trauermarsch nähern sie sich langsam. Es sind die Angehörigen und Freunde der Opfer des Flugzeugabsturzes. Viele waren bereits vor einem Jahr hier. Damals lag auf dem Feld die zerstörte und ausgebrannte Fokker-50-Maschine. Für einige ist es allerdings das erste Mal, dass sie die Stelle besuchen, an der ihre Brüder, Väter oder Freunde starben. Die Sonne hat an diesem Tag den Kampf gegen die Wolken verloren, dennoch tragen einige Menschen Sonnenbrillen. Die verdecken ihre Augen, doch die Trauer und den Schmerz können sie nicht verbergen. Am Anfang bleiben die Trauernden mit etwas Abstand vor der Gedenkstätte stehen, die Köpfe gesenkt. Ein kleiner Junge, auf dem Arm eines Mannes, weint laut. Vielleicht ist ihm nur kalt, vielleicht spürt er auch die bedrückende Stimmung. Viele halten es nicht länger aus. Sie betreten die Gedenkstätte, in der ein junger Baum, einige Pflanzen am Rand sowie eine durchsichtige Tafel mit den Namen der 20 Verstorbenen stehen. Hier verharren sie, beten sie und legen Blumen nieder. Seit dem 6. November 2002 sind viele Menschen auf das Feld in Niederanven gegangen und haben getrauert. Aus diesem Grund hat die luxemburgische Gemeinde die Gedenkstätte direkt an der Absturzstelle errichtet. Als "Tag der Erinnerung, Tag der Sympathie und des Mitgefühls mit den Angehörigen und Freunden" bezeichnet Raymond Weydert, Bürgermeister von Niederanven diesen Gedenktag. Während der Feier haben die Trauernden noch einmal die Gelegenheit, die Gedenkstätte zu betreten. In eine Kassette, die später in die Erde eingelassen wird, können sie Geschenke und persönliche Erinnerungen an ihre Lieben legen. Ein junges Mädchen, das seinen Vater bei dem Flugzeugabsturz verloren hat, legt Blumen an dem Denkmal nieder, bricht in Tränen aus und muss von seiner Mutter gestützt werden. Mit zwei Rucksäcken betritt eine vierköpfige Familie die Stätte und packt Blumensetzlinge aus. Eine Frau hat einen Brief geschrieben und legt ihn unter Tränen in die Kassette. Ortswechsel. Der zweite Teil der Gedenkfeier geht im Kulturzentrum von Niederanven weiter. Es ist warm. Der kleine Junge, der eben auf dem Feld noch bitter geweint hat, strahlt und zeigt in der Mitte des Festsaals ein paar Tanzschritte. Die kleine Einlage bringt einige der Trauergäste zum Lachen. Als symbolische Geste überreichen 50 Pfadfinder den Trauernden Rosmarin-Sträucher. Dieser Pflanze sagt man heilende Kräfte nach. Und Kraft können die Angehörigen und Freunde der Verstorbenen gebrauchen. Jean-Claude Juncker, luxemburgischer Premier-Minister, betritt das Podest. "Für Sie wird das Wort Luxemburg für immer mit dieser schrecklichen Nachricht verbunden sein", sagt er zu den Angehörigen und Freunden der Opfer. Auch für die Luxemburger sei diese Katastrophe ein schreckliches Erlebnis gewesen.Im Moment der Trauer entsteht ein buntes Bild

"Der Unfall hat uns still werden lassen, hat uns zärtlicher im Umgang mit anderen gemacht. Die Menschen, die hier ihr Leben gelassen haben, haben uns für Augenblicke zu besseren Menschen gemacht." Als Juncker diese einfühlsamen Worte zu den Angehörigen und Freunden der Toten spricht, setzt sich ein kleines Mädchen auf den Boden. Während seine Mama sich die Tränen trocknet, packt das Kind Papier und Buntstifte aus. Es fängt an zu malen. Ein farbenfrohes Bild entsteht. Der Abschlussbericht über die Absturz-Ursache soll am 15. Dezember vorgelegt werden.

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