Für das "Sowohl-als-auch" gesorgt

Berlin. Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt sich alle Mühe, den "klassischen Kompromiss" der EU-Staats- und Regierungschefs zum Irak-Problem als großen politischen Erfolg zu verkaufen, der die Einheit Europas gestärkt habe. Die Opposition bezeichnet ihn als "Umfaller".

Wenn knifflige Entscheidungen fallen, die einen breitenInterpretationsspielraum zulassen, gehen Politiker immer gernevor die Presse. Es gilt, so schnell wie möglich Definitionsmachtzu erlangen und die Meinungsbildung zu beeinflussen. Deshalb gabsich Bundeskanzler Gerhard Schröder am Montagabend in Brüsselauch alle Mühe, den EU-Kompromiss ins rechte Licht zu rücken. Die Opposition reagierte in zu erwartender Weise: Schröder sei "umgefallen", hieß es ebenso spöttisch wie zufrieden von Union und FDP - "allerdings in die richtige Richtung". Was war passiert? Nun, erst hatte der Planungsrat der Nato nach langem Gezerre am Sonntag mit deutscher Billigung die militärischen Vorbereitungen zum Schutz der Türkei beschlossen; dann hatte sich der EU-Gipfel am Montag Abend zu einer gemeinsamen Erklärung durchgerungen, in der "Gewalt als letztes Mittel" nicht ausgeschlossen wird. Dieser Punkt war für die Bundesregierung stets kritisch, hatte der Bundeskanzler militärische Gewalt doch mehrfach (und zum Verdruss seines Außenministers Joschka Fischer) grundsätzlich ausgeschlossen und damit Deutschland, jedenfalls nach Ansicht der Opposition, international isoliert. Ist Schröder nun umgefallen oder nicht? Es ist der klassische Streit um die dialektische Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Fraglos hat sich die Bundesregierung bewegt, sonst wäre der Kompromiss gar nicht zustande gekommen. Doch hat sie gleichzeitig relativierende "Sowohl-als-auch"-Formulierungen durchsetzen können: Einerseits heißt es in der Erklärung, "Gewalt sollte nur als letztes Mittel angewendet werden"; andererseits wird betont, "wir wollen dies (die Entwaffnung des Irak) friedvoll erreichen". Einerseits heißt es, der Irak werde "allein für die Konsequenzen verantwortlich sein", ...wenn er nicht "diese letzte Chance" ergreift; andererseits sollen den Inspektoren "die Zeit und die Ressourcen gegeben werden, die sie nach Ansicht des Sicherheitsrates benötigen". "Ein klassischer Umfaller", sagte dazu CSU-Chef Edmund Stoiber. Und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel meinte, Schröder sei von den anderen EU-Staaten zum Kurswechsel "gezwungen" worden.

Angeblich hat sich nichts geändert

Wie man es auch sieht: Nach dem Beidrehen der Bundesregierung ist Rot-Grün argumentativ in die Defensive geraten. Unverdrossen erklärte der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler zwar, "nichts" habe sich an der Haltung der Bundesregierung geändert und es bleibe beim Nein zum Krieg; doch Schröder selbst gestand zu, "dass wir unsere Position nicht in Reinkultur durchbringen konnten". Der Kurswechsel, der angeblich keiner ist, hat übrigens nicht am Montag stattgefunden, sondern sieben Tage zuvor. Bereits am 10. Februar hatten Frankreich, Russland und Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung den Einsatz von Gewalt als letztes Mittel nicht ausgeschlossen. Ungeachtet aller semantischen Verrenkungen: Die wirkliche Bewährungsprobe für die Bundesregierung kommt noch. Spätestens wenn über eine weitere UN-Resolution abgestimmt werden soll (die von Washington bereits formuliert wird), muss Schröder endgültig Farbe bekennen.

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