Für viele Unionspolitiker ist Ulla Schmidt ein "rotes Tuch"

Berlin. Nur auf den ersten Blick sieht das Zahlenwerk halbwegs beruhigend aus, das Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in den nächsten Tagen vorlegen will: Ein in der Höhe nicht erwarteter Jahresüberschuss der Betriebskrankenkassen (BKK) verbessert die Jahresbilanz 2005 der gesetzlichen Kassen insgesamt.

Das Plus der BKK, bei denen heute jeder fünfte gesetzlich Versicherte Mitglied ist, soll Ende vergangenen Jahres rund 900 Millionen Euro betragen haben. Nach diesen Informationen hatten alle übrigen nicht privaten Krankenkassen zusammen einen Überschuss von 830 Millionen Euro zu verzeichnen. Somit beläuft sich der Gesamtüberschuss der gesetzlich Krankenversicherten für 2005 auf gut 1,7 Milliarden Euro. 2004 verbuchten diese Kassen allerdings noch einen Gesamtüberschuss von über vier Milliarden Euro. Zieht man vom Überschuss 2005 jedoch den Bundeszuschuss aus der Tabaksteuer in Höhe von 2,5 Milliarden Euro ab, dann haben die gesetzlichen Kassen bereits im vergangenen Jahr unter dem Strich wieder Verluste in stattlicher dreistelliger Millionenhöhe eingefahren. Die Altschulden der gesetzlichen Krankenkassen, die immer noch mitgeschleppt werden, belaufen sich zudem auf 1,2 Milliarden Euro. In diesem Jahr sollen die gesetzlichen Kassen noch einmal einen Zuschuss aus dem Topf des Finanzministers erhalten, und zwar in Höhe von 4,2 Milliarden Euro. Vollends dramatisch wird die Kassenlage aber danach: Denn die Bundesregierung hat am vergangenen Mittwoch beschlossen, diesen Bundeszuschuss im kommenden Jahr von 4,2 auf 1,5 Milliarden Euro zu kürzen. Und ab Januar 2008 soll er im Zug der Sanierung des Bundeshaushalts dann vollständig wegfallen. Außerdem will Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Krankenkassenbeiträge für die Bezieher von Arbeitslosengeld II ab 2007 kürzen. Für die Kassen bedeutet das weitere Mindereinnahmen von 180 Millionen Euro pro Jahr. Obendrein wird die Mehrwertsteuer ab 1. Januar 2007 um drei Prozentpunkte erhöht, was alle Kassen zusätzlich stark belastet. Die gesetzlichen Krankenkassen rechnen mit zusätzlichen Ausgaben bis zu 800 Millionen Euro pro Jahr. Die große Koalition hat sich somit beim Thema Gesundheit mit Vorsatz unter Reformdruck gesetzt. Steinbrück: ,,Ich habe keinen Bock darauf, weitere Zuschüsse zu zahlen." SPD-Fraktionschef Peter Struck sieht in der Gesundheitsreform jetzt auch eine große Bewährungsprobe für Bundeskanzlerin Angela Merkel (siehe Interview oben). Wie unsere Zeitung gestern aus dem Gesundheitsministerium erfuhr, ist der zeitliche Fahrplan bereits abgesteckt. Bis zum 31. März muss Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) einen ,,konsensfähigen Vorschlag" ausgearbeitet haben. Anfang April beginnen dann die Gespräche ,,auf höchster Ebene", und zwar auf der Grundlage des von Schmidt ausgearbeiteten Vorschlags - zunächst zwischen den Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD. Das Thema wurde von der Kanzlerin zur Chefsache erklärt. Ob und in welcher Form Ulla Schmidt in dieser ,,ersten Runde auf höchster Ebene" mit am Tisch sitzen wird, war gestern noch offen.Ärger über eigenwillige Vorstöße

Für viele in der Union ist die hemdsärmelige Gesundheitsministerin quasi ein ,,rotes Tuch"; sie hatten sich in den vergangenen Wochen wiederholt über ,,eigenwillige und nicht abgesprochene Vorstöße" der SPD-Politikerin geärgert. Die Union selbst verfügt nach dem Wechsel Horst Seehofers (CSU) auf den Stuhl des Agrarministers im Augenblick ,,über kein Schwergewicht, das der gewieften Taktikerin Ulla Schmidt bis ins Detail wirklich Paroli bieten kann", heißt es. Bis vor der Sommerpause, spätestens jedoch unmittelbar danach soll ein gemeinsamer und damit beschlussfähiger Gesetzesvorschlag der schwarz-roten Koalition ausgearbeitet sein. Zwar signalisierte Unionsfraktionschef Volker Kauder: ,,Wir legen uns fest, dass wir nicht festgelegt sind." Aber einfach wird es nicht, eine Lösung zu finden. Denn die Positionen von Union und SPD liegen sehr weit auseinander. Nach dem Modell der Union bleiben gesetzliche und private Versicherung erhalten. Jeder Versicherte soll eine gleich hohe Prämie bezahlen, und der Sozialausgleich erfolgt über das Steuersystem. Die SPD dagegen setzt auf die Bürgerversicherung, die alle Bürger, also auch die privat Versicherten, in eine Versicherung mit einheitlichem Leistungskatalog einbezieht. Außer vom Einkommen sollen nach diesem Modell die Beiträge auch von Kapitaleinkünften abhängen. Gesucht wird jetzt ein ,,dritter Weg", so Peter Struck.

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