Fürs Gericht sind die Ku’damm-Raser Mörder

Berlin · Zwei junge Männer sind angeklagt. Sie haben bei einem illegalen Autorennen mitten in Berlin einen Menschen totgefahren. Die Staatsanwälte fordern die Höchststrafe. Tatsächlich rechnet aber kaum jemand mit so einem Urteil. Die Richter aber fällen es - und verhängen lebenslang.

Berlin (dpa) Zuschauer schreien überrascht auf, die Angeklagten stehen wie vom Schlag getroffen: Erstmals in Deutschland sind zwei Raser nach einem illegalen Rennen mit tödlichem Ausgang des Mordes schuldig gesprochen worden. Lebenslange Freiheitsstrafen verhängt das Berliner Landgericht am Montag.
Lebenslang soll den beiden als Ku'damm-Raser bekannt gewordenen Männern, 28 und 25 Jahre alt, zudem der Führerschein entzogen werden. Die Verteidigung kündigt Revision an.
Der 25-Jährige setzt sich langsam. Sein Blick geht ins Leere. Er stützt den kahlen Kopf auf. Der 28-Jährige bleibt zunächst stehen. Fassungslos wirkt der schmale Mann und wütend. Dann bricht es aus ihm heraus: "Was wollt ihr denn? Was soll das Ganze? Was soll ich mir das noch anhören." Noch minutenlang steht er während der Urteilsbegründung.
"Es ist immer eine Einzelfallentscheidung", beginnt Richter Ralph Ehestädt. Persönlichkeit der Täter, Motivation, Tatumstände. Die Gesamtschau führe zum Urteil. Die Angeklagten hätten einen tödlichen Ausgang des Rennens natürlich nicht gewollt. "Aber wir reden hier von einem bedingten Vorsatz." Davon, dass sie die Folgen "billigend in Kauf" genommen hätten. Mit bis zu 170 Stundenkilometern seien die Angeklagten gerast - "nicht auf einer Landstraße, sondern auf dem Kurfürstendamm, einer Hauptverkehrsstraße in der City".
Das Tempo spielt die besondere Rolle bei der Entscheidung. Es habe die beiden Sportwagen zu Tatwaffen, zu "gemeingefährlichen Mitteln" werden lassen, so das Gericht. "Es wurde mit Vollgas gefahren", sagt Ehestädt. Ob jemand von rechts kommt, sei nicht mehr einsehbar gewesen für die Raser. "Keine Chance für die Raser zu handeln." Und keine Chance für das Opfer.
Ein Unfallort, den Zeugen später als Schlachtfeld beschreiben. Bei Grün rollt ein kleiner Jeep am 1. Februar 2016 gegen 0.40 Uhr an der Tauentzienstraße auf die Kreuzung. Die beiden PS-starken Sportwagen - beide Fahrer sind bereits mehrfach wegen Delikten im Straßenverkehr aufgefallen - nähern sich rasend. Mit mindestens Tempo 160 rammt der 28-Jährige den Jeep. 72 Meter weit wird der pinkfarbene Geländewagen geschleudert. Der 69 Jahre alte Fahrer stirbt in seinem Auto.
Im März klickten für die beiden Raser die Handschellen. Über die Männer heißt es später im Prozess, sie würden ihre hochmotorisierten Autos lieben, sich darüber definieren, Selbstbestätigung holen. Einer der Verteidiger sagt: "Die ticken anders als unsereins." Sie würden ihre Fahrkünste derart überschätzen, dass ihnen gar nicht in den Sinn komme, es könnte zu einem Unfall kommen.
Das Risiko ausgeblendet? Das Argument zählt für die Richter nicht. "Auch der Raser bleibt ein Mensch, der einen Kopf hat", sagt Ehestädt. Die Folgen einer höchstgefährlichen Fahrweise seien ihnen sehr wohl bekannt. "Raserei ist keine seelische Erkrankung." Der Raser habe die Möglichkeit von Einsicht und Erkenntnis.
Vor dem Gerichtssaal drängen sich Kamerateams. Verteidiger Peter Zuriel kündigt Revision an und bezeichnet sich als einen "ungeheuer wütenden Verteidiger". Er hatte für den 28-Jährigen auf fahrlässige Tötung plädiert. Das Urteil sei nicht haltbar. Andere Verteidiger gehen wortlos. Ein Sohn des Getöteten verlässt den Saal langsam. Ob er sich freue? "Nein, aber ich bin erleichtert." Er hoffe, dass das Urteil ein Signal an andere Raser ist.
Ein Richterspruch, der bundesweit für Aufsehen sorgt. Bislang führten tödliche Verkehrsunfälle nach Raserei zu Schuldsprüchen wegen einer fahrlässig begangenen Tat.
Die Debatte um härtere Strafen für illegale Rennen läuft. Eine Gesetzesinitiative liegt vor.WAS BEDEUTET LEBENSLANGE HAFT?


Extra

(dpa) Seit Abschaffung der Todesstrafe ist lebenslange Haft die schwerste Strafe im deutschen Recht. Lautet der Richterspruch "lebenslänglich", heißt das aber nicht, dass ein Verurteilter unbedingt bis zu seinem Tod hinter Gittern sitzt. Lebenslange Haft wird meist bei Mord verhängt und kann — bei guter Führung und günstiger Sozialprognose — frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Wird sein Antrag abgelehnt, kann der Verurteilte ihn alle zwei Jahre neu stellen. Hat das Gericht allerdings eine "besondere Schwere der Schuld" festgestellt, kommt der Täter nur in Ausnahmefällen vorzeitig frei — etwa wegen hohen Alters oder schwerer Krankheit. Besondere Schwere der Schuld bedeutet zum Beispiel, dass das Motiv besonders verwerflich war oder die Tat besonders grausam.

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